Literatur

Kasparows Züge

von Eva Reichl


282 Seiten
© Sutton Verlag, 2012
www.suttonverlag.at
http://members.aon.at/eva.reichl/home.html
ISBN 978-3-86680-985-7



Endlich. Endlich! Endlich mal ein Krimi der (ganz) anderen Art. Bereits auf der ersten Seite stellt Eva Reichl unmissverständlich klar, dass sie sich keineswegs vorgenommen hat, einen gewöhnlichen Kriminalroman zu erzählen. Das kann ja heiter werden ...

Leon Kardin hat sich seinen nächtlichen Streifzug etwas anders vorgestellt. Er weiß, wie man sich unbemerkt den Objekten seiner Begierden nähert. Er hat eine schicke Stadtvilla im Visier, die lohnende Beute verspricht. Überrascht wird der Dieb von einer dunklen Gestalt, die sich rasch durch eine geöffnete Terrassentür entfernt. War ihm jemand zuvor gekommen? Leon entscheidet sich dennoch, das Haus zu betreten. Die merkwürdige Stille gefällt ihm nicht, doch die Gier auf Beute treibt ihn voran. Bis in den ersten Stock. Es muss das Schlafzimmer sein. Doch was ihn hier erwartet, konnte er nicht ahnen. Der Teufel persönlich muss hier gewütet haben!

Derweil tun sich im Himmel ganz andere Dinge. Petrus mag nicht mehr. Der ihm zugedachten Aufgabe ist er nicht mehr gewachsen. Er kann nicht mehr und er will nicht mehr. Vor der Himmelspforte bilden sich immer längere Schlangen. Es klingelt pausenlos. Die Bevölkerungsexplosion fordert ihren Tribut. Rund um die Uhr ist Petrus beschäftigt und hat kaum noch Zeit für sich selbst. Früher war das anders gewesen. Da hatte er noch Zeit gehabt, sich um jeden Einzelnen zu kümmern. Doch das ist längst vorbei, die netten Unterhaltungen am Himmelstor sind einer Massenabfertigung gewichen. Petrus bittet den Allmächtigen um Einstellung einer Hilfe, der sich zunächst wenig begeistert von dieser Idee zeigt. Aber man will die Meinungsverschiedenheiten bei einer Partie Schach klären ...

Chefinspektor Neuhorn hat ebenfalls alle Hände voll zu tun. Nicht nur der Doppelmord an Emma Reichenauer, der Ehefrau des Spirituosenmoguls Karl Reichenauer, und deren Liebhaber beschäftigt ihn und die Kollegen der Linzer Kriminalpolizei. Zwei weitere bizarre Mordfälle schließen sich an. Nicht nur die grausame Intensität der Inszenierungen der Morde unterscheiden sich grundlegend. Auch zwischen den Opfern scheint es keinerlei Verbindungen zu geben ...

Nichts ist schlimmer für einen Schriftsteller, als der Termindruck eines Verlages auf der einen und eine Schreibblockade auf der anderen Seite. Johann Krüger kommt einfach nicht weiter. Großes wird von ihm erwartet, doch die Zutaten für den von ihm erwarteten Bestseller fehlen. Gut, dass er die aktuellen Ereignisse in den Medien verfolgt und somit die eine oder andere Inspiration erhält. Man muss das alles nur etwas umschreiben ...

Pater Gabriel beobachtet diesen Orgelspieler schon lange. Und nicht nur er. Selbst Passanten, die an der Kirche des Erzengels Michael an der Linzer Landstraße vorbeigehen, lassen sich vom magischen Klang und der tiefgründigen Interpretation Beethovens Klaviersonaten anziehen. Eine abgründige Wut scheint diesen Musiker zu treiben ...

Eva Reichl versteht es von der ersten Zeile an, den überraschten Leser auf eine ebenso unkonventionelle wie unübliche Art und Weise zu unterhalten. Die "überirdische" Einleitung erstaunt und belustigt zugleich. In Verbindung mit den irdischen Realitäten ergibt sich ein ungewöhnliches Spannungsfeld. Der ständige Wechsel der Schauplätze stört in "Kasparows Züge" überhaupt nicht, selbst wenn sie radikaler nicht sein könnten. Ganz im Gegenteil, denn die Autorin schafft den Spagat zwischen den verschiedenen Handlungsebenen, ohne sich zu verzetteln oder den Leser zu verwirren.

Die Figuren niederen Dienstgrades bis hin zum Allmächtigen kommen weitgehend ohne aufwändige Charakterzeichnungen aus. Das übernehmen die Handlung und nicht zuletzt die wirklich "himmlischen" Dialoge. Die weiteren Ereignisse spitzen sich durch die Achterbahnfahrt durch die unterschiedlichen Erzählstränge ständig zu, bis es auf allen Ebenen zu Entscheidungen kommen muss. Diese Entwicklung zu verfolgen ist ein Genuss.

Die Linzer Kriminalpolizei steht ebenso unter Druck wie der Allmächtige. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig und Chefinspektor Neuhorn hat zudem mit einer überaus belastenden Vergangenheit zu kämpfen. Gott ergeht es ähnlich, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Stressig wird es im Himmel sowieso, denn zu allem Übel gesellt sich auch noch Petrus' verrückte Idee, auf der Erde einen Urlaub verbringen zu wollen ...

Kasparows Züge überrascht von der ersten bis zur letzten Seite! Pflichtlektüre für Anhänger der etwas schrägeren Unterhaltung und ein Muss für alle Krimifreunde mit Humor. Ein wahrhaft himmlisches (Lese-)Vergnügen!

 

Thomas Lawall - September 2012

 

 

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