Literatur

Jesus liebt mich

von David Safier


304 Seiten
© 2008 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
www.rororo.de
ISBN 978-3-499-24811-5



Marie ist fassungslos. Was sie getan hat, begreift sie selbst nicht genau. Zum Glück ist ihre Schwester Kata zur Stelle, um sie zu trösten und um ihr zu bestätigen, dass sie das Richtige getan hat. Schließlich wäre es sehr mutig gewesen und ehrlich sowieso. Alle anderen hätten "Ja" gesagt und damit den Fehler ihres Lebens begangen. Sie hingegen hätte die einzig richtige Entscheidung getroffen. Zwar etwas spät, denn im Prinzip hätte sie einen passenderen Anlass finden können, ihre Beziehung zu beenden, doch es war nunmal die letzte Möglichkeit, "Nein" zu sagen.

Und wieder hat es beziehungstechnisch nicht geklappt. Marie ist 35 und bisher suchte sie sich immer den Falschen. Sven zeigt sich wenig begeistert, denn schließlich war die Hochzeit mit allem Drum und Dran bestens geplant und durchorganisiert. Selbst die Fahrt mit einer Kutsche zur Kirche durfte nicht fehlen. Die Gesamtsituation wurde dennoch durch den Umstand getrübt, dass ihr Vater nicht als Brautführer zur Verfügung stand. Schuld daran trägt eine verbale Auseinandersetzung zwischen seiner Tochter und seiner neuen Lebensgefährtin Swetlana. Sie kommt aus Weißrussland, ist 25 Jahre alt, hat eine 8-jährige Tochter und fand den Weg zu ihrem neuen Glück über eine Partnervermittlung im Internet. Marie zeigte sich entsetzt und bezeichnete die junge Dame als "Wodka-Nutte" und ihren Vater als "Viagra-Papa".

Ärger und Komplikationen liegen also in der Luft, wobei die ernsten gesundheitlichen Probleme von Maries älterer Schwester Kata zunächst noch eine untergeordnete Rolle spielen. Sorgen macht sich Marie auch wegen ihrer Mutter, denn auch sie hat sich, nachdem die Beziehung ihrer Eltern bereits zerbrach, als sie zwölf Jahre alt war, neu orientiert. So wie es aussieht, läuft bereits eine heftige Liaison zwischen der Psychotherapeutin und Pater Gabriel! Dieser scheint seinerseits mit Aktivitäten von weitaus größerer Tragweite beschäftigt zu sein ...

Marie scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein, schafft es aber, ihr altes Kinderzimmer wieder zu beziehen. Trotz der Kritik an seiner neuen Lebensgefährtin hat ihr Vater in seinem Haus immer einen Platz frei für seine Tochter. Probleme sind aber auch hier vorprogrammiert, denn Swetlana ist bereits eingezogen und demnächst wird ihre Tochter nachkommen. Wie es der Zufall will, ist die Zimmerdecke nass, da der alte Dachstuhl repariert werden müsste. Maries Vater bestellt einen Handwerker, der neu in der Stadt ist. Sofort hat der Zimmermann einen Termin frei und stellt sich Marie als Joshua vor.

Joshua ist anders als alle Männer, die Marie jemals kennengelernt hat. Er scheint nicht nur einen hellwachen Geist zu besitzen, sondern zeigt sich ungewöhnlich einfühlsam, kann zuhören und er singt gerne Psalmen. Der aus Palästina stammende Mann bringt Maries Gefühle in Wallung wie nie zuvor. Doch das erste Date gestaltet sich insofern reichlich seltsam, als er auf Maries Frage, wann er denn Palästina verlassen habe, antwortet, dies wäre vor fast 2000 Jahren gewesen!

David Safier widmet sich einem Gedankenspiel, welches vielleicht nicht unbedingt neu ist, aber bislang keineswegs so originell in Szene gesetzt wurde. Die abgefahrene Geschichte reichert er zudem mit filmreifen Szenarien an und legt ganz besonderen Wert auf pointierte Dialoge, welche die Geschichte einerseits unmittelbar "verbildlichen" und andererseits ständig vorantreiben.

Die Charaktere wirken liebevoll gezeichnet, egal ob es sich um Marie und ihre Schwester Kata, die beiden geschiedenen Eltern, Pater Gabriel, Swetlana, Maries einzigem wirklichen Freund Michi, den alten Ex Marc, den neuen Ex Sven oder um den Sohn des Allmächtigen handelt. Auf seine ganz spezielle Art haucht ihnen der Autor Leben ein und er tut dies mit einem Augenzwinkern, sehr viel (Selbst-)Ironie und den Mitteln der Übertreibung. Ein gutes Beispiel dafür mag jenes Sparbuch sein, welches Eltern verpflichtend anlegen müssen, damit sich ihre Kinder später einen Psychologen leisten können.

Manche Gags agieren allerdings eher grenzwertig, indem Kata zum Beispiel formuliert: "Wenn es einen Gott gibt, warum gibt es dann so Dinge wie Nazis, Kriege und Modern Talking?" Weniger derb und in der Grundaussage wesentlich witziger formuliert kommt die Beschreibung der Tonlage, in welcher die junge Swetlana den Beischlaf mit Maries Vater zu untermalen pflegt "und damit in Frequenzbereiche vorstößt, bei denen Hunde den Verstand verlieren." Wenn es dann noch ein herrliches Verwirrspiel um Dessous und einen Tanga gibt, jene Kleidungsstücke, die Joshua völlig unbekannt zu sein scheinen, bleibt keine Auge mehr trocken.

David Safiers Wortwitz sucht seinesgleichen und mit einem sicherem Gefühl für Situationskomik sowie scharfsinnig pointierter Ironie konstruiert er eine Komödie mit wahrhaft biblischen Ausmaßen.

 

Thomas Lawall - März 2013

 

 

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