Literatur

Ich bleib so scheiße wie ich bin
Lockerlassen und mehr vom Leben haben


von Rebecca Niazi-Shahabi


256 Seiten
© Piper Verlag GmbH, München 2013
www.piper.de
ISBN 978-3-492-30056-8



Ich kann mich noch gut an diese TV-Sendung erinnern, nicht aber an den Titel derselben. Regelmäßig wurden Prominente und deren Lebensweg vorgestellt. Ebensogut erinnern kann ich mich an meine Laune danach. Es war wohl eine ungesunde Mischung aus Neid und Ohmacht, die mich regelrecht niederschmetterte und mich irgendwann dazu bewog, dieses Magazin einfach nicht mehr einzuschalten.

Wie haben es diese Superreichen nur geschafft, mit ein paar Scheinen in der Tasche in die USA auszuwandern, um dort ein Firmenimperium aufzubauen? Wie haben es jene völlig Unbekannten erreicht, zu Show-Superstars aufzusteigen? Wie machten es bloß die Garagenfreaks, mit ein paar geliehenen Maschinen anzufangen, und damit den Grundstein für das eigene Unternehmen zu legen? Wie toll muss es sein, in einem Schloss von Haus zu wohnen, die Garagen voll mit teuren Autos, den Keller voll mit erlesenen Weinen und einer Gartenanlage, die bis zum Horizont reicht?

In den immer zahlreicher erscheinenden Biografien dieser Leute heißt es in schöner Regelmäßigkeit, das könne jeder erreichen. Man müsse es nur wollen und hart arbeiten. Einst begann ich aufzuzählen, wo denn meine eigenen Talente liegen und welche davon ich wohl ausbauen und weiterentwickeln könnte. Das dauerte seine Zeit und die anfängliche Euphorie verflog. Dafür wuchsen Unzufriedenheit und die Enttäuschung, nicht wirklich etwas umsetzen zu können oder die Kraft dafür zu finden. Lag es an mangelnder Motivation? Lag es am nicht vorhandenen Geschäftssinn? Oder war einfach nicht mehr Begabung und Können vorhanden?

Irgendwann gab ich auf und entsorgte den ganzen Ideenplunder auf den erstbesten Müllplatz. Von da an ging es mir besser. Die gesellschaftlichen Zwänge gingen sofort auf die Überholspur und rauschten mit Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei. Lass sie doch schreiben, erfinden, sich abrackern, reich und berühmt werden, ihr Geld zählen, ihre dicken Autos kaufen, Paläste bauen, regieren, unnützes Zeug - und den jeweils passenden Verwendungszweck gleich mit - erfinden, Imperien aufbauen und zu den Sternen fliegen, dachte ich mir. Derweil unternahm ich mit einem Freund eine spontane "Kreuzfahrt" auf dem Rhein. Wir schnappten uns zwei Luftmatratzen und ließen uns treiben. War das ein Spaß! Andere haben in dieser Zeit Millionen verdient - aber wir haben gelebt!

Spätestens seit diesem Tag war mir klar, dass ich andere Wege gehen würde, und so ist es bis heute geblieben. Im Prinzip bin ich mir treu geblieben, und nichts und niemand hat mich verbogen. Nun liegt dieses Büchlein vor mir. "Ich bleib so scheiße wie ich bin" mag ein provokanter Titel sein und die Sache, um die es geht, etwas überspitzt darstellen, doch bereits im Untertitel wird die freche Aussage relativiert. Ich lese in diesem originellen und von der Norm erfreulich abweichenden Werk eine Bestätigung nach der anderen.

Weg von den Schuldgefühlen, nichts "Besonderes" erreicht zu haben oder aus den vorhandenen Möglichkeiten nicht alles herausgeholt zu haben. Weg von dem Bemühen, sich mit einer ganzen Flut von vorgefertigten Lebensbewältigungsstrategien künstlich zu motivieren, und den zahlreichen Gurus, die uns mit ihren Schriften darlegen möchten, wie wir uns zu verhalten haben, und wie es gelingt, die Stufen des Erfolgs immer weiter nach oben zu klettern. Eigentlich bin ich ja schon reich, berühmt und ungeheuer erfolgreich. Der Weg dahin ist gar nicht mehr so weit und bald werde ich angekommen sein. Blödsinn, denn vor lauter Selbstoptimierung vergessen und verlieren wir uns selbst und unser Leben.

Allein die Ursachen herauszufinden, "warum wir nicht das tun, was wir uns vorgenommen haben", verschlingt ein schönes Stück der uns noch zur Verfügung stehenden Lebenszeit. Diese könnte man besser nutzen, indem man einige ebenso unkonventionelle wie mutige Ansätze in diesem Buch berücksichtigt. Eine meiner (zahlreichen) Lieblingsstellen möchte ich hier zitieren. Viele, die sich aus Angst vor Ablehnung, wenn sie bestimmten Kriterien nicht entsprechen, immer noch zu zahlreichen Rechtfertigungen gezwungen sehen, sollten überdenken, ob sie ihren Ängsten nicht insofern Paroli bieten könnten, indem sie die nächsten übersteigerten Anforderungen einfach mit den Worten "Mach doch selber" abschmettern. Da man sich damit eh unbeliebt machen wird, ist auch die Variante "Gute Idee, aber für mich zu anstrengend" möglich. Das Gegenüber wird sich ärgern, man selbst wird aber mit der Weigerung, sich zu rechtfertigen, wachsen!

Weitere, immer wieder gerne gelesene Textstellen sind die Kapitel mit den bezeichnenden Überschriten "Endlich Diät machen - bloss nicht!", "Seele - Selbsterkenntnis hilft - und macht tieftraurig", "Mehr Selbstbewusstsein führt ins Abseits", "Optimismus - wer an sich glaubt, stirbt früher", "Glücklicher sein - wozu eigentlich?", "Spiritualität - absichtslos sein mit aller Gewalt", "Vernünftige Gespräche sind der größte Schwachsinn, den es gibt", sowie eines der (ebenso) gnadenlosen letzen Kapitel "Erfolg macht unfrei - warum Karrieremachen so langweilig ist".

Fallen ein Sechzehnstundentag und das strapaziöse Freizeitprogramm am Wochenende weg, entstehen unglaubliche Freiräume. Befreit vom Diktat, Höchstleistungen zu erbringen, entfällt auch der Zwang, ein "besserer, glücklicherer, schönerer, zufriedenerer und erfolgreicherer Mensch zu werden." Wozu die Mühe der Beschäftigung mit dem unausgewogenen und keineswegs perfekten Selbst? Im Zustand der Akzeptanz des Momentanen, das Optimierungen von Kindern, Ehe, Freundschaften und dem eigenen Befinden als unnötig erscheinen lässt, vermutet Rebecca Niazi-Shahabi die Idee der Freiheit.

Die Autorin schreibt ohne Rücksicht auf Verluste und so herrlich frech und frei an jeder Konvention vorbei. Viel gäbe es zu tun, aber das hat eigentlich Zeit. "Du musst es nur wollen", sagen stets jene, die uns letztlich nur nach ihren eigenen Vorstellungen umformen möchten. Klar. Im Moment will ich aber nicht. Und morgen auch nicht! Noch ein guter Rat von der Autorin selbst. Was man alles an sich ändern möchte, sollte man ruhig einmal auf ein Blatt Papier schreiben. "Dann knüllen sie den Zettel zusammen und werfen ihn weg."

Ich bin sehr auf die Negativkritiken gespannt. Die Autorin sicher auch. Das wird ein Spaß ...

 

Thomas Lawall - Februar 2013

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum