Literatur

I don't have a gun
Die Lebensgeschichte des Kurt Cobain


von Marcel Feige


224 Seiten
© 2012, 2014 Beltz & Gelberg
www.gulliver-welten.de
ISBN 978-3-407-74470-8



Schon erstaunlich, dass Kurt Cobain einst erklärte, er hätte "eine wirklich gute Kindheit verlebt". Damals wollte er noch Präsident, Astronaut oder Stuntman werden. Bereits im Alter von drei Jahren erfand er eigene Lieder und -texte. Die Schwester seiner Mutter förderte sein Talent, indem sie ihm Platten von verschiedenen Bands kaufte, eine Trommel schenkte und ihm Gitarrenunterricht gab.

Doch der scheinbare Friede währte nicht lange und bereits mit neun Jahren brach für Kurt die heile Welt zusammen. Schon längere Zeit kämpfte die Familie mit finanziellen Problemen und die Eltern lebten sich immer mehr auseinander. Schließlich kam die Scheidung, und sie warf Kurt aus der Bahn. Nach dem Schock, Halt und Sicherheit verloren zu haben, entwickelten sich zusätzlich Selbstzweifel und Schuldgefühle.

Schließlich machte er sich selbst als Grund und Auslöser für das Scheitern der Ehe seiner Eltern verantwortlich. Schon immer war er einfach anders gewesen. Sport interessierte ihn nicht. Er machte lieber Musik und zeichnete. Noch weniger konnte er verstehen, dass nach der Trennung der Krieg der Eltern erst richtig in Fahrt kam. Abends im Bett schrie er sich die Seele aus dem Leib. "Ich habe immer versucht, meinen Kopf zum Platzen zu bringen, indem ich die Luft anhielt - ich dachte, wenn mein Kopf platzt, dann wird es ihnen schon leid tun."

Der große Freund von Biographien bin ich wahrlich nicht. Mit der Musikrichtung des "Grunge" konnte ich noch nie etwas anfangen und mit der Band Nirwana im Prinzip auch nichts. Auch Versuche, mich jetzt noch hineinzuhören, sind ganz aktuell gescheitert. Lediglich die Art und Weise des Gesangs von Kurt Cobain, seine seltsame Intonation, wissen seltsam zu berühren.

Dieses Buch ebenfalls. Marcel Feige scheint bei der schnörkellosen, nichts beschönigenden Wahrheit zu bleiben. Stets bleibt er auf der Sachebene, auch wenn er hier und da die Tragödie durch die Einstreuung einiger schrägen Anekdoten aufzulockern versteht. Bizarres erlebten Kurt und seine Mitstreiter auf diversen Tourneen, zwei Jahre vor dem weltweiten Durchbruch.

Da die Erfolge in den USA zunächst ausblieben, zog es Nirvana nach Europa. 36 Konzerte in zwei Monaten gemeinsam mit TAD zu geben, verlangte den in einem kleinen Bus insgesamt elf Mitreisenden alles ab. Für Komplikationen bleibt bei einer solchen Reise quer durch Europa keine Zeit. Dumm nur, wenn man ausgerechnet am 9. November 1989 unterwegs ist, und wegen dem Fall der Berliner Mauer in einen achtzig Kilometer langen Stau gerät.

Im Juni des gleichen Jahres stand eine ebenfalls zweimonatige Tour durch die USA an. Die Gagen reichten gerade für Benzin und Essen, und geschlafen wurde unter freiem Himmel. Kurt berichtete von einer Übernachtung in einem Wald in Texas. Auf Schildern standen Warnungen vor Alligatoren. "Beim Schlafen hatten wir alle Baseballschläger neben uns liegen."               

Im Mittelpunkt aber stehen Kurts katastrophale Familiengeschichte, die ebenso haarsträubende wie wechselhafte Bandgeschichte, der weltweite Hype, der jähe Fall, und die Zerrissenheit einer Persönlichkeit, die in entscheidenden Lebensphasen allein und sich selbst überlassen wurde.

Auf jenem schwachen Fundament kämpfte sich der "ikonische Antiheld" (Musikexpress) auf der einen Seite durch die gnadenlose Realität und auf der anderen Seite durch seine labile Sensibilität,
um sich scheinbar willenlos, durch den verhassten Erfolgsdruck zusätzlich getrieben, in den Drogensumpf und den von ihm selbst gewählten "absoluten Exzess" zu stürzen, bis er sich schließlich genötigt sah, sich selbst das endgültige Scheitern zu verordnen.

 

Thomas Lawall - Juli 2014

 

 

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