Literatur

Hurzlmeiermalerei

von Rudi Hurzlmeier


220 Seiten
© Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2020
www.kunstmann.de
ISBN 978-3-95614-400-4



Herrlich, diese Traumfluten, die uns im Schlaf überfallen und uns für kurze Zeit in andere Dimensionen entführen. Wachen wir auf, sind wir oft noch eine Weile dort, bis die Erinnerung, auch wenn sie noch so "echt" erschien, langsam verblasst und schließlich meist ganz in Vergessenheit gerät.

Wo sind all die Träume hin, wo sind sie geblieben? Irgendwie hätte man dies aufzeichnen sollen. Was in ein paar hundert Jahren vielleicht gelingen mag, funktioniert heute zwangsweise noch anders. Kluge Köpfe schreiben ihre Gedanken auf, andere packen sie in Musik und wieder andere greifen zu Pinsel und Farbe.

Rudi Hurzlmeier ist so einer. Er kann Farben in Träume und Phantasien (zurück-)verwandeln. Dass er hierbei mitunter etwas übertreibt, ist sein gutes Recht. Dazu ist Kunst ja (auch) da. Eine schier aussichtslose Flucht zum Beispiel. Kennt jeder. Man befindet sich in einer ausweglosen Situation. Das Ende steht unmittelbar bevor. Da vorne ist ein Wasserfall, dem man nicht mehr entkommen kann. Man liegt im Bett und versucht, verzweifelt rudernd, dem Unvermeidlichen zu entkommen. Selbstverständlich ist Vollmond, keinesfalls aber sicher, wie man denn gleich sterben wird, denn von hinten kommt auch noch ein kapitaler Hai angeschwommen. Die einzige Rettung wäre nun tatsächlich das Aufwachen...

Hurzlmeiers Malerei hat aber wenig mit Wachzuständen zu tun. Beim Abtauchen in seine Welt möchte man alles sein, nur nicht wach. Die großen Meister augenzwinkernd zitierend, feiert Rudi Hurzlmeier den Sieg über den Tunnelblick des Alltäglichen. Normalität wird ersatzlos gestrichen, und zwar mit satt und reichlich Farbe, sowie einem Gespür für phantastische Grenzüberschreitungen. Ein Plädoyer für die Legalisierung des Absurden.

Was ist Kunst? Heerscharen "normaler" Menschen interessiert das wenig bis überhaupt nicht. Hat nicht mal jemand gesagt, dass Kunst das Unsichtbare zeigt, abbildet, darstellt oder wie auch immer? Wie dem auch sei, wer das nicht Sichtbare sucht, wird in Hurzlmeiers ebenso spaßigem wie phantastischem Realismus fündig. Und zwar derart, dass es einem die Sprache verschlägt. Aus dem Staunen kommt man, bevor es mit der Schnappatmung weitergeht, gar nicht mehr heraus.

Nach den einleitenden Pferdebildern möchte man das auch gar nicht mehr, und wenn man nach jenem Höllenritt den willkommenen Abwurf genießt, freut man sich, wie eine angetrunkene Königstochter vielleicht, auf die definitive Rückkehr eines längst totgeglaubten, legendären Tieres.

Trotzdem an dieser Stelle eine Warnung. Das eine oder andere Bild könnte Bewusstseinsstörungen hervorrufen. Man schließt am Ende (sehr ungern) das Buch, aber so schlimm ist das auch wieder nicht, weil es eine sehr seltsame Nachhaltigkeit entwickelt. Man geht beispielsweise in den eigenen Garten, erkennt ihn aber nicht wieder. Es scheint etwas nicht zu stimmen, denn da gibt es plötzlich Dinge, die da eigentlich nicht hingehören.

Plötzlich hängen die frisch gewaschenen Unterhosen eine Etage höher, und man fragt sich, wie man eigentlich hoch an die Stromleitung gekommen ist, wieso im alten Apfelbaum eine Toilette hängt, ein Mädchen herumspringt, das gar keins ist, oder wem der Hund, der Punkte sammelt, gehört. Im Zusammenhang mit jenen Risiken und Nebenwirkungen fragen sie bitte ihren Buchhändler oder Psychotherapeuten.

Der Rezensent empfiehlt jedoch den Genuss ohne jede Vorwarnung oder der Einnahme von bewusstseinserweiternden Substanzen. Selbst wenn der Rotwein alle ist, hält der Kunstgenuss bei Weitem mehr, als er versprochen hat. Also auf dem Cover, meine ich. Da schwebt der Meister bekannt daselbst, mittels einer Art schwebender Nudel, verfolgt durch eine gemeine Stubenfliege, über eine Landschaft, die nicht weiß, was sie will. Ach ja, unten geht noch ein ziemlich bekannter Dampfer unter.

Rudi Hurzlmeier stellt eine Menge Fragen, die wir die Freiheit haben, selbst beantworten zu dürfen. Herzlichen Dank auch! Was aber nicht bedeutet, dass ihm hier und da eine unmissverständliche Bildaussage rausrutscht. Es soll ja Menschen geben, die seine Kunst nicht verstehen oder gar ablehnen. Darauf kann es nur eine Reaktion geben, was er in "Ferkelfutter" unzweifelhaft ausdrückt.

Das Leben, weiter gedacht. Gedanken ohne Mauern. Satire, neu definiert. Absurder Hochgenuss.

 

Thomas Lawall - Januar 2024

 

 

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