Hoch über allem
von Sepp Mall
216 Seiten © 2017 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien www.haymonverlag.at ISBN 978-3-7099-7297-7
Was jetzt kommt, gehört nicht in eine Rezension. Üblicherweise. Zu persönlich und inkompatibel mit jeder Erwartungshaltung. Doch der Rezensent nimmt sich ja auch an anderer Stelle Dinge heraus, die sich nicht unbedingt gehören, und die sich nicht anpassen möchten. Alles ist möglich. Nur eines nicht mehr: Auf Bücher vom Haymon Verlag zu verzichten.
Zwei Jahre hat er keine Bücher mehr des österreichischen Verlags gelesen, und das ist andererseits schon wieder gut so, denn jetzt weiß er definitiv, was ihm die ganze Zeit gefehlt hat!
Man schlägt nur die ersten Seiten des wie gewohnt auch formal perfekt gestalteten Buches auf, muss nur die ersten Zeilen lesen und schon ist es so, wie es immer war. Nämlich jedes Mal anders.
Meistens jedoch wie auf einer Art Flughafen. Ganz normale Worte nehmen Anlauf, geben Gas und heben ab. Wie ein Kameraschwenk. Entweder über die Landschaft und die Welt oder eher nach innen gerichtet. Als ob man dabei wäre. Man fühlt sich angesprochen, freut sich, lacht und weint mit, bis man, wenn man Glück (oder Pech) hat, seine eigene Rolle in den Geschichten entdeckt ...
Was soll man überhaupt noch schreiben? Über den Inhalt darf nichts verraten werden. "Spoilern" nennt man das jetzt. Doch potentielle Leser/innen haben ein Recht zu erfahren, um was es in etwa geht und auf was sie sich einlassen. Ein Werk mit Substanz leidet sowieso nicht, wenn ein paar Sätze und Handlungsfetzen verraten werden.
"Hoch über allem" ist so ein Buch. Sepp Mall gestaltet den Einstieg mit sehr leichter Feder. Die Idylle in jener spontan gemieteten Ferienwohnung, kurz vor Weihnachten, scheint perfekt zu sein. Fast ein wenig zu perfekt, denn Jakobs Frau Irene wirft spontan erste Unsicherheiten in den Raum: "Man weiß nie, wie es weitergeht."
Das sagt sie einfach so daher. Und doch sind es mitunter diese vermeintlich einfachen Formulierungen, die eine leichte Unruhe aufkommen lassen. Insbesondere wenn Jakob, der Psychologe, durchaus unsicher antwortet: "Wir sind diese Stille nicht mehr gewohnt."
Das Kammerspiel um Jakob, Irene, deren Sohn Matthias und dessen Freundin Kristina sowie Irenes Mutter geht weiter, obschon sich ein leichtes Bröckeln der weihnachtlichen Harmonie anzudeuten scheint. Fast erschrickt man, als am Weihnachtsabend Jakobs Tochter Emma anruft, um der versammelten Runde mitzuteilen, dass irgend etwas mit ihrer Mutter passiert sei ...
Sepp Mall sammelt Augenblicke. Stellt das Leben auf Pause und filtert das Wesentliche heraus. "Man weiß nie, wie es weitergeht." Vor allem, wenn die Vergangenheit wieder die Oberhand gewinnt. Kann die Gegenwart gegen sie bestehen? Wird der Spagat gelingen? Der Autor schickt Vater und Tochter auf die Reise nach Südtirol, wo Emmas Mutter Marilyn im Krankenhaus liegt.
Gleichzeitig ist es eine Reise in jene Tage, als es Emma noch nicht gab. Die beiden erleben jene Fahrt ins Ungewisse unter jeweils völlig anderen Vorzeichen. Diese zu einem sensiblen Portrait zwischenmenschlicher Fehlkalkulationen zu verweben ist Sepp Mall auf fast unspektakuläre Weise gelungen.
Von Anfang an spielt er mit der Leserschaft und ihren Erwartungen. Die spannende Frage lautet: Kann die Geschichte ihrem Titel gerecht werden? Dieses großartige Kammerspiel gibt am Ende die Antwort.
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