Literatur

Hier kommen wir nicht lebend raus

von Margaret Atwood


304 Seiten
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München 2024
www.berlinverlag.de
ISBN 978-3-8270-1474-0



Also gut, wie kann es auch anders sein, es geht in diesem Buch ums Ganze, insbesondere um das Ende des Ganzen.

"Uns widerstrebt die Vorstellung, zu einer Handvoll Staub zu werden..."

Wobei Margaret Atwood selbstverständlich das Unvermeidliche insofern relativiert, als sie dem zu erwartenden Trauerspiel eine Wunschvorstellung, sozusagen als sinngebende Erleichterung entgegenstellt:

"...also wünschen wir uns stattdessen, zu Worten zu werden. Atem im Munde anderer."

Eine durchaus tröstende Vorstellung und dem, der unbedingt nach einem Sinn sucht oder sich gerne einen solchen erfinden möchte, ein Wohlgefallen. Doch es gibt noch weitaus mehr zu entdecken, wenn das Alter droht und Zuversicht zu einem immer opulenter wirkenden Luxus mutiert. Margaret Atwood lesen zum Beispiel.

Das Ehepaar Tig und Nell bildet in den ersten und letzten vier Geschichten den Rahmen der Geschichten, wobei es nicht schwer zu erraten ist, wen diese Figuren symbolisieren könnten, insbesondere wenn die Widmung zu Beginn einen deutlichen Hinweis gibt. Es dürfte sich um die Autorin selbst handeln und jenen Menschen, der bei der Entstehung der meisten Geschichten dabei war, und der jetzt fort, aber doch noch irgendwie da ist,

"wenn auch nicht auf die herkömmliche Art".

Tig und Nell leben ein sehr bewusstes und stets reflektierendes Leben. Selbst Todesängste werden nicht ausgeklammert, aber es gibt genug Gründe, sich dem, was da kommen möge wie ein zwischen die Beine geworfener Knüppel, entgegen zu stellen. Zumindest die gegebenen Abläufe kann man ja etwas stören oder durcheinander bringen.

Vor einem sehr drolligen Interview mit George Orwell, der sich ungemein freut, sich mit jemandem unterhalten zu können,

"der noch in seiner fleischlichen Hülle steckt",

lesen wir noch etwas über eine "böse Mutter", die sich mit ihrer dreizehnjährigen Tochter einen knackigen Dialog liefert, der uns zwar bekannt vorkommt, welcher allerdings etwas aus dem Ruder läuft, und die Grenzen der abgesteckten Kampfarenen "leicht" überschreitet.

Erstaunt lesen wir in anderen Geschichten, weshalb es von Vorteil sein kann, kein Skelett zu haben, oder wie schwierig sich das mit dem Gedächtnis gestalten kann, wenn die Frage auftaucht, ob man vor langer Zeit etwas mit einem bestimmten Herrn gehabt hatte, also mit jenem, der so schlechte Zähne hatte.

Einen fürchterlichen Tod erlitt um 416 die Philosophin und Mathematiklehrerin Hypatia von Alexandria, was diese uns "persönlich" schildert und hierbei die grausamen Details nicht unerwähnt lässt. Um einen wütenden Mob geht es unter anderem auch in der nächsten Geschichte. Hierzu vollführt die Autorin aber einen beherzten Zeitsprung und lässt eine "Matriarchin" zu Wort kommen. In "Metempsychose" geht die Reise dann eher nach "innen"... und allerspätestens hier kommen Leser/innen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus...

Man könnte jetzt noch alles mögliche erwähnen, andeuten, zitieren oder zusammenreimen, doch die Damen und Herren Literaturkritiker/innen der professionellen Liga können das viel besser. Die wissen auch, warum man Margaret Atwood jedes Wort glaubt. Alles was sie erzählt oder auch nur am Rande erwähnt, wirkt derart ausgefeilt, reich an Kulisse, Hintergrund und Geschichte, dass keiner auf die abstruse Idee kommen könnte, dies wäre etwa alles erfunden.

Ende. Schluss jetzt. Margaret Atwood schreibt wie niemand sonst, und das sollte jetzt genügen.

 

Thomas Lawall - November 2024

 

 

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