Herzblut
von Volker Klüpfel und Michael Kobr
400 Seiten © 2013 Droemer Verlag www.droemer.de www.kommissar-kluftinger.de ISBN 978-3-426-19937-4
Kluftinger wähnt sich im Paradies. Der Blick aus seiner Almhütte ist traumhaft. Am weißen Sandstrand grasen Kühe, und alles könnte so bleiben wie es ist ... bis an seinem Hinterteil etwas brummt. Zurück in der Realität ist der Himmel nicht mehr blau und alle Frühlingsgefühle sind verschwunden. Sein Handy meldet sich mit einer Schlagermelodie, doch Kluftinger kann es zunächst nicht orten. Ehefrau Erika zeigt schon Zeichen baldigen Erwachens, bis er es endlich in der Matrazenritze findet.
Kollege Strobel meldet sich und verkündet nicht ohne Stolz, dass der Taximörder bereits gefasst sei. Der Hauptkommissar kann es nicht fassen, beendet das Gespräch auf seine liebenswert schroffe Art und hastet aus seiner Bettstatt. Wohl etwas übertrieben hastig, denn heftige Schwindelgefühle und ein Stechen in der Brust signalisieren ihm wieder einmal, dass er mit bald sechzig Jahren seinem Körper keinen jugendlichen Übermut mehr zumuten darf. Doch das ist erst der Anfang ...
Der vermeintliche Taximörder Wolfgang Schratt hat bereits gestanden. Siegfried Holz wurde in seinem Taxi von hinten erschossen. Anschließend wurden ihm ganze zweihundertsiebenundfünfzig Euro gestohlen. Die Geldbörse und die Uhr des Opfers wurden in der Wohnung des dringend Tatverdächtigen gefunden. Es scheint also keinerlei Zeifel zu geben ...
Doch damit beginnt erst eine Serie von außerordentlich brutalen Mordfällen im Allgäu, die sich zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang gestalten. Es beginnt mit dem Raubmord an einem Taxifahrer in Buchloe und setzt sich mit einem ominösen Anruf während einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz fort, die Auskunft über den schnellen Fahndungserfolg geben soll. Hauptkommissar Kluftinger weiß nicht, wer der Anrufer ist, denn ein Dialog kommt nicht zustande. Die zu hörenden Geräusche nötigen ihn aber zu der Annahme, Zeuge eines Mordes geworden zu sein.
Etwas gegenständlicher geht es beim nächsten Fall zu. Christian Hübner heißt das nächste Opfer. Man findet ihn in seiner Wohnung mitten in Kempten. Der Zustand der Leiche stellt alles in den Schatten, was Kluftinger und seine Kollegen jemals gesehen und erlebt haben. Die gewohnt lockere Atmosphäre auf dem Präsidium weicht einer allgemeinen Betroffenheit, die man so gar nicht kennt ...
... was allerdings nicht bedeutet, dass selbst an diesem Tatort der eine oder andere Fettnapf bereitsteht, insbesondere was die ausgiebigen Vermessungsarbeiten des Tatortes durch den Kollegen Richard betreffen. Dennoch schlagen Volker Klüpfel und Michael Kobr das eine oder andere ganz neue Kapitel auf, indem sie beispielsweise einen knackigen politischen Seitenhieb in Richtung FDP formulieren, ihre bodenständige Hauptfigur in existenzielle Fragenberge stürzen oder die Mordfälle in ungewohnter Härte gestalten.
Kluftinger bleibt sich dennoch als der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen selbst absolut treu, doch sein physischer und psychischer Zustand gibt Anlass zur Sorge, da sich größere Probleme anzubahnen scheinen. Er kommt sogar nicht darum herum, sich einem seiner Lieblingsfeinde insofern auszuliefern, als er die eine oder andere gründliche Untersuchung über sich ergehen lässt. Doch damit nicht genug, denn Dr. Langhammer hat noch ganz andere Pläne für seinen wohl schwierigsten Patienten.
Das Allgäuer Autorenteam bezeichnet in einem Interview "Herzblut" ganz ohne falsche Bescheidenheit als den besten Kluftinger, "den wo's je geaba hot". Ich bin geneigt, den beiden insofern recht zu geben, als es ihnen gelungen ist, den gewohnten Rahmen, wie schon erwähnt, an allen Ecken und Enden zu sprengen. Auch der Humor, der erwartungsgemäß eine zentrale Rolle spielt, erfährt eine Multiplikation mit sich selbst. Schön, dass er sogar mit der rasanten technischen Entwicklung mithält - ganz im Gegensatz zur ebenso heimatverbundenen wie bodenständigen Figur des Hauptkommissares Kluftinger. Handys zu verstehen war schon schwierig genug, doch nun nötigen Klüpfel und Kobr ihren Hauptdarsteller dazu, sich mit den Funktionen eines Smartphones vertraut zu machen, sowie ein Gespräch mit dem künftigen Schwiegervater in Japan per Skype zu führen. Dinge, die nicht gutgehen können ...
Volker Klüpfel und Michael Kobr haben ihr Allgäuer Patentrezept ausbauen können, und spätestens nach dieser weiteren Folge dürfen wir uns sicher sein, dass den beiden so schnell die Puste nicht ausgehen wird. Die Story ist spektakulär, und das pointenreiche Feuerwerk, welches das Autorenduo am Ende abbrennt, überrascht auf der ganzen Linie und war so nicht vorhersehbar. Auch nach dem siebten Band der Reihe kommt weder Langeweile auf noch lässt die schräge Serie einen begründeten Verdacht zu, das immer noch vorhandene Potentiel könnte demnächst versiegen. Ganz im Gegenteil. Priml!
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