Literatur

Heimweh

von Marc Raabe


432 Seiten
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015
www.ullstein-taschenbuch.de
ISBN 978-3-548-28690-7



Marta explodiert. Wie von der Tarantel gestochen rast die Zwölfjährige zur Tür hinaus in den Flur und verschwindet. So schnell können weder ihre Begleiterin Jule, Sozialarbeiterin und Psychologin, noch Kinderarzt Jesse Berg reagieren. Sie erreichen den Ausgang des Berliner St.-Joseph-Krankenhauses, doch Marta ist längst im dichten Schneetreiben entkommen.

Etwas stimmt nicht mit dem Mädchen. Jule wollte in der Ambulanz des Krankenhauses erst einmal nach einer Verletzung schauen lassen, einer frischen Wunde oberhalb der Augenbraue, die angeblich von einem Unfall stammt. Jesse konnte nicht mit der sich anschließenden Reaktion rechnen, zumal Marta nicht unbedingt panisch auf eine Spritze, sondern eher wegen seiner Person zu reagieren schien ...

Als ob der Kinderarzt nicht mit weiteren Problemen, die sich in  ganz anderen Dimension bewegen, zu kämpfen hätte. Auch im Alter von 45 Jahren wollen seine Alpträume einfach nicht aufhören. Nach seiner Scheidung kümmert er sich weiterhin, abwechselnd mit seiner Ex-Frau Sandra, um die gemeinsame Tochter Isa, was sich, die Termine betreffend, nicht immer einfach gestaltet.

WIE schwierig, ahnt er zunächst nicht, denn der aktuelle Besuchstermin verwandelt sich in ein Desaster. Sandra bat ihn, gegen Abend in ihrer Wohnung auf Isa aufzupassen, da sie verhindert sei. Leider verspätet er sich um 1 1/2 Stunden. Er klingelt vergeblich. Endlich kommt ihm jemand aus dem Haus entgegen, öffnet die Tür und Jesse hastet die Treppen hoch. Die Wohnungstür ist nur angelehnt. Sandra findet er tot auf. Seine Tochter gar nicht ...

Sandra und Jesse lernten sich in ihrer Zeit als Teenager in einem Heim kennen, wo sie gemeinsam aufwuchsen. Artur Messner, der ehemalige Internats- und Heimleiter von Adlershof in Garmisch-Partenkirchen, ist 74 Jahre alt. Das Karussell seiner bitteren Erinnerungen an die Vergangenheit beginnt sich immer schneller zu drehen, als ihn ein Paket erreicht und dessen entsetzlicher Inhalt ...

"Das Böse kommt auf leisen Sohlen" scheint ein Motto von Marc Raabe zu sein. Die ersten Seiten seines Psychothrillers gestalten sich etwas statisch, hölzern und wenig aufregend. Wirklich seltsam, dass dieser Eindruck weiter besteht, auch wenn Herr Messner das Paket auspackt oder Jesse seine ermordete Ex-Frau findet.

Der Autor zieht aber das Tempo ganz offenbar und bewusst sehr gemächlich an, indem er den harten Tatsachen so nach und nach weitere Komplikationen beifügt. Zu dumm beispielsweise, wenn man am Tatort von der besten Freundin des Opfers überrascht wird. Somit bewegt sich die Story nach dem verhaltenen Anfang plötzlich in einem ganz anderen Tempo.

Und so geht das munter weiter, bis Marc Raabe so nach und nach die Handlungsfäden zusammenführt. Die Spannung wächst, auch wenn man zunächst nicht die geringste Ahnung hat, wie die verschiedenen Ebenen in Gegenwart und Vergangenheit wohl zusammenpassen könnten.

Bis der Vorhang sich lichtet, was aber an dieser Stelle durch keinerlei Fakten angedeutet werden soll. Nur so viel soll verraten werden: Den etwas kurzatmigen Rezensenten haben die letzten Seiten ein wenig beruhigen können, was nach dem, im wahrsten Sinne des Wortes, atemlosen Finale auch bitter notwendig war!

 

Thomas Lawall - August 2015

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum