Literatur

Grenzgänger

von Mechtild Borrmann


288 Seiten
© 2018 Droemer Verlag
www.droemer.de
ISBN 978-3-426-28179-6



Erst nachdem die horrende Kaffeesteuer in der britischen Besatzungszone bzw. der Bundesrepublik Deutschland 1953 erheblich gesenkt wurde, war auch das einträgliche Geschäft durch den Schmuggel der Bohnen, mit Zentrum in der Region um das Dreiländereck Aachen/Maastricht/Eupen, beendet. Die Gegenmaßnahmen der Zollbehörden wurden immer brutaler, bis sogar Schusswaffen eingesetzt wurden.

Neben vielen Verletzten gab es auch Tote, darunter sogar Kinder. Rund um diese, aus heutiger Sicht recht bizarre und völlig sinnlos erscheinende, Problematik, strickte Mechtild Borrmann ihren aktuellen Roman "Grenzgänger": Nach dem Tod ihrer Mutter 1947 muss sich die vierzehnjährige Henni um ihre drei jüngeren Geschwister Johanna, Matthias und Fried kümmern, da ihr Vater dieser Aufgabe nicht gewachsen ist ...

Die Autorin gestaltet ihren Roman auf permanent wechselnden Zeitebenen, was erhöhte Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser einfordert. Es beginnt im Jahr 1970 und jenem Prozess, der Henriette "Henni" Bernhard gemacht wird. Weshalb, erfährt man zunächst nicht ... und in dieser Rezension ebenfalls nicht. Die Zeitsprünge gestalten sich insofern etwas holprig, als in der Gegenwart (1970) ebenfalls zurückgeschaut wird und sich in Einzelfällen sogar Wiederholungen ergeben.

In den erwähnten Rückblenden rollt Mechtild Borrmann die Kindheitsgeschichte Hennis auf, so dass sich nach und nach die Hintergründe, die 1951 zur Einlieferung in eine "Besserungsanstalt" führten, erklären. Doch im Laufe ihres weiteren Lebens sollte es noch weitaus schlimmer kommen.

So verwandelt sich die Geschichte mit halbdokumentarischem Charakter immer weiter zum handfesten Familiendrama und schließlich in einen Kriminalroman. Diese ungewöhnliche Mischung hätte sich zu einem faszinierenden Epos ausweiten können, wenn sie nicht im Grunde handwerklich recht gefällig konstruiert und teilweise mit einer Überdosis Melodramatik angereichert wäre.

Immerhin sind die historischen Hintergründe belegt und nicht nur jene, die den unsäglichen Kaffeeschmuggel der Nachkriegsjahre betreffen. Auch die Zustände in den Kinderheimen waren katastrophal und, zumindest aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, welche unbeschreibliche Menschenverachtung, ausgerechnet in kirchlichen Einrichtungen, gepflegt und praktiziert wurde.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz war (und ist) auch so ein Thema. Diejenigen Frauen, die sich wehrten, wurden der Lüge beschuldigt. Aber nicht nur in jenem Zusammenhang spielt der Begriff "Schuld" in diesem Buch eine Hauptrolle. Vielmehr zeigt es, in welchen Sackgassen man landen kann, wohin fatal fehlgeleitete Selbsteinschätzungen führen können und welche Rolle "barmherzige" Christen mitunter spielen.

Insofern stellt also "Grenzgänger" eine fiktive Geschichte, auf der Bühne einer zeitgeschichtlichen Kulisse und gesellschaftlicher Strukturen, die es - leider - tatsächlich gegeben hat, vor.

 

Thomas Lawall - März 2019

 

 

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