Literatur

Frau Bartsch reist sich zusammen
Wie ich auszog das Trauern zu lernen,
und unterwegs das Glück fand


von Stephanie Bartsch


254 Seiten
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH,
Berlin/ München 2023
www.berlinverlag.de
ISBN 978-3-8270-1482-5



Und wie sie sich zusammen reist. Zuerst nach Süden ans Meer und anschließend ins herrlich abenteuerliche Norwegen. Nach so viel Sonnenschein sich plötzlich in einem wochenlang anhaltenden Dauerregen zu befinden, stellt Stephanie Bartschs Befindlichkeiten auf eine harte Probe. Die extremen klimatischen Unterschiede mögen aber ein Sinnbild sein, welches ihre Gesamtsituation in gewisser Weise widerspiegelt.

Schließlich änderte sich ihr gesamtes Leben ebenso radikal. Allerdings von einer Sekunde auf die andere und ohne jede Vorwarnung. Zwar tauchten in der Vergangenheit, bezüglich der jährlich zu bewältigenden sechsstelligen Kilometerleistung ihres verstorbenen Mannes, immer mal wieder gewisse Befürchtungen auf, aber mit dem Ernstfall rechnete dann eben doch niemand. Bis zu jenem 9. Dezember des Jahres 2020.

Eine letzte SMS erreichte sie noch, doch ihre Antwort hat ihr Mann Ralf nicht mehr lesen können. Bei einem Ausweichmanöver auf der A7 traf er auf tragische Weise die falsche Entscheidung. Zwei Polizisten und ein Seelsorger, welcher im weiteren Verlauf des Gespräches in Tränen ausbrach, setzten sie vom Tod ihres Mannes in Kenntnis. Ein erster, wenn auch schwacher, Trost war, dass der Tod sofort eintrat. Ihr Mann wusste also nicht, dass er sterben würde.

Allein die Schilderung dieser Umstände, das Nennen des Todestages, sowie die näheren Umstände zeigen eindrucksvoll die Art und Weise, wie Frau Bartsch mit diesem erbarmungslosen Schicksalsschlag umgeht. Die schonungslose Herangehensweise sind eine Art erstes Rezept, wie mit so einer Situation umgegangen werden kann. Kein Verdrängen, kein Anklagen, und keine Was-wäre-wenn-Phantasien, sondern ein bewusstes Eintreten in einen völlig neuen Lebensabschnitt.

Einerseits ist es vielleicht eine umgehende, wenn auch schleichende, Akzeptanz, welche Elisabeth Kübler-Ross als fünften Punkt ihrer Theorie der "Fünf Phasen der Trauer" benennt, die Frau Bartsch aber kategorisch ablehnt, und die amerikanisch-schweizerische Psychiaterin etwas vorlaut vom Thron schubst. Andererseits fängt nach so einer unumstößlichen Erkenntnis die eigentliche Trauerarbeit natürlich trotzdem an und diese ist furchtbar.

Trotzdem hält sie von Phasen und anderen, in der ihr vorliegenden Sachliteratur, vorgeschlagenen Bewältigungsstrategien wenig bis gar nichts. Monate sitzt sie in ihrem ganz persönlichen schwarzen Loch fest, bis ein Gedanke aus früheren Zeiten die Oberhand gewinnt. Sie wollte doch schon immer mal mit einem Wohnmobil ans Meer fahren ...

... was sie nun in die Tat umsetzt. Aber auch dies ist nur ein erster Schritt, denn was sie nun tatsächlich erwarten würde, konnte sie ja ebenfalls nicht ahnen. Manchmal ist das Leben tatsächlich noch ein unbeschriebenes Blatt, und es kommen viele Seiten dazu, vor allem wenn man Zufall, Mut und einer offenen Seele jeweils zeitweise die Regie überlässt.

Natürlich ist es eine Flucht, aber auch eine vor den Erwartungen ihres gesamten sozialen Umfeldes. Verwandte, Freunde und Bekannte, die es allesamt natürlich "nur gut" meinen, drängen sie in eine Schublade, in der sie sich nicht wohlfühlt:

"Ich bin doch keine Witwe!"

Gut zu wissen, dass alle vorgezeichneten Wege nicht unbedingt hilfreich sein müssen. Die ungeheure "Vielfalt der Trauer" lässt das nicht zu. Was vielmehr gilt ist, die eigenen, vielleicht noch nicht sichtbaren Wege zu erkennen und freizulegen oder sich selbst, so weit das möglich ist, neu zu erfinden.
 
Somit ist "Frau Bartsch reist sich zusammen" ein lebensbejahender Ratgeber, ein Mutmacher, eine unverbindliche Anleitung zur Selbsthilfe, und so ganz nebenbei ein kleiner Reiseführer, sowie eine Gebrauchsanweisung für Wohnmobilanfänger/innen und Fortgeschrittene. Eine aufregende Reise, die zunächst einmal vom "wir" zum "ich" führt. Auch wenn es den "Ralf im Innern" immer geben wird, denn schließlich ist er ja in sie "hineingestorben".

Wie auch in Puccinis oder ganz besonders in Wagners Musik, kommt die Trauer "in Wellen". Mal ist sie verschwunden und mal kommt sie ohne Erbarmen. Ohne festen Zeitplan. Vielleicht fährt Stephanie Bartsch deshalb so gerne ans Meer. Mal schweigt es, mal stürmt es. So wie das Leben überhaupt. Pech und Unglück kommen unverhofft. Manchmal geschieht aber auch, und ebenfalls völlig unerwartet, das Gegenteil ...

 

Thomas Lawall - September 2023

 

 

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