Literatur

Flesh & Blood

von Mark Peterson


384 Seiten
© 2013 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
www.rororo.de
ISBN 978-3-499-25908-1



Wieder eine schlaflose Nacht. Tom Beckett zieht es hinaus an die Strandpromenade von Hove. Immer wieder kehren die Erinnerungen zurück und jedes Mal werden sie mächtiger. Der Detective Chief Inspector erreicht einen Kinderspielplatz und fragt sich, ob seine Frau Julie jemals hier gesessen hat, um der lärmenden Kinderschar zuzuschauen. Und schon multiplizieren sich seine Erinnerungen mit der immer wieder aufkeimenden Trauer. Vor einem Jahr verbrachte sie ihre letzten Tage in einem Londoner Krankenhaus. Nie hatten sie die Möglichkeit gehabt, ihren eigenen Kinder beim ausgelassenen Spiel zuzuschauen. Sie existieren nur in seiner Phantasie.

In jener Nacht wurden mit seinem Einverständnis alle lebenserhaltenden Systeme abgeschaltet. Der Krebs siegte. Julie starb in seinen Armen. Er dachte nie und nicht einmal im Traum daran, "dass er sich durch so viel Schmerz würde fressen müssen". Sein ganzes Leben scheint sich zwischen zwei Fixpunkten zu verankern: Julies Tod und seinem eigenen. Irgendwann würde sich der Kreis schließen und das "Bankett des Leidens" würde sich in der Ewigkeit verlieren.

Da Mark Peterson sein Hauptaugenmerk auf die Charakterisierung seiner Figuren legt, wählte ich erstmals eine andere Form der Rezension, um der Gewichtung des Autors Rechnung zu tragen. Er widmet sich aber nicht nur der tragischen Figur des Chief Inspectors, sondern auch dessen Kollegen, und dies in gleicher Intensität.

Da wären beispielsweise Detective Constable Vicky Reynolds, der einzigen Frau im Team, und Detectice Sergeant Minter, mit welchem sich eine besondere Problematik ergibt. Vicky stellte die Weichen ihrer beruflichen Karriere zunächst in andere Richtungen. Nachdem sie ihren Bachelor in Rechtswissenschaften bestanden hatte, war ihr ein Studienplatz in London bereits sicher. Ihre Kommilitonen reagierten mit einer Mischung aus Unverständnis und Mitleid, als sie ihren Plan, Juristin zu werden, aufgab. Sie wollte lieber zur Polizei gehen, um "etwas Nützliches" zu machen.

Minter hat eine problematische Kindheit hinter sich. Im Alter von sechs Jahren wurde er von seinen Mutter getrennt und wuchs in Pflegefamilien und Kinderheimen auf. Dort hatte er durch ältere Kinder und Jugendliche die schlimmsten Demütigungen zu ertragen. Sein neuer Job bei der Polizeieinheit für "Schwere und organisierte Kriminalität" in Brighton, "SOCU", steht zunächst unter keinem guten Stern. Er war in dieser "Familie" nicht willkommen. Für ihn bedeutet das eine bittere Ironie, da er ohnehin nicht weiß, wie die Strukturen in einer Familie beschaffen sind ...

Natürlich gibt es auch einen Mord. Und nicht nur einen. Ray Tyler, der verdeckt arbeitete, wird vor den Augen seiner Kollegen erschossen. Eine gnadenlose Verfolgungsjagd und eine sich anschließende Fahndung finden ein rasches Ende ... doch das ist erst der Anfang. Weitere Morde geschehen, die Mark Peterson in erbarmungsloser Härte gestaltet. Überall lässt er es rumoren. Auch und vor allem in den eigenen Reihen. Chief Superintendent Roberts möchte Tom Beckett gerne loswerden. Minters Aufgabe besteht darin, ihn aus erster Hand mit Berichten über Fehler des Ermittlungsteams zu versorgen ...

Der britische Thrillerautor geht in seinem Debut sofort in die Vollen und gibt im sprichwörtlichen Sinne Vollgas. Seine sachbezogenen Schilderungen, die Drogenszene betreffend, gleichen einer Milieustudie. Die geschilderten Verbrechen zeichnet er in ungeschönter Härte. Geschichte und Menschen stehen aber gleichsam im Vordergrund - hier agieren keine farblosen Statisten. Seine Figuren haben eine Geschichte, die sie zu dem formte und prägte, was sie heute sind.

Die Geschichte findet ein nicht ganz überraschendes aber drastisches Ende. Fortan werden zwei Personen ein Geheimnis mit sich herumtragen müssen ...! Wie gesagt: Die eigentliche Story ist vorbei ... doch die Charakterdarsteller stehen jetzt etwas verloren auf der Bühne herum. Das kann es nicht gewesen sein, diese Leute jetzt tatenlos im Niemandsland zurückzulassen. Deshalb nehme ich einmal stark an, dass es mit Tom Beckett und seinen Leuten weitergehen wird. Insbesondere scheinen sich die weiteren Lebenswege der Kollegen Minter und Reynolds nicht uninteressant zu entwickeln ...

 

Thomas Lawall - April 2013

 

 

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