Literatur

Elsas Stern
Ein Holocaust-Drama


von Agnes Christofferson


276 Seiten
© ACABUS Verlag, Hamburg 2014
www.acabus-verlag.de
ISBN 978-3-86282-310-9



Elsa Aronsohn kann nicht glauben, dass sie sich in der Realität befindet. Es kann sich nur um eine Verwechslung handeln. Sie und ihre Schwester sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie glaubt für den Moment, dass dies alles gar nicht passiert. Spätestens am nächsten Tag wird sich alles aufklären. Dieses Lager ist ein Alptraum. Wie sollen Menschen auf diesen faulig stinkenden Strohsäcken und in jenen viel zu engen Kojen, dicht aneinander gepresst, schlafen können? Doch zunächst muss sie sich den Gegebenheiten anpassen. Schließlich ist um vier Uhr Appell ...

Ihre Tochter Leni ahnt von alledem nichts, als sie viele Jahre später mit ihr in einem italienischen Lokal sitzt. Seit ihr Mann starb, geht Elsa kaum noch aus dem Haus, doch Leni lädt sie gelegentlich zu einem gemeinsamen Essen in einem Lokal ihrer Wahl ein. Viel weiß sie nicht über ihre Familie. Ihre Mutter erzählte von einer Flucht mit Lenis Schwester Salome nach Amerika und vom Verlust aller weiteren verwandtschaftlichen Verbindungen. Oma, Opa, Tanten und Onkel gibt es nicht. Über die Vergangenheit wurde nie gesprochen. Bis heute ist das Thema tabu. Der Besuch im "Elektrics" sollte aber alles ändern.

Elsa glaubt, einen Besucher des Lokals zu kennen. Jedem, nur nicht ihm, wollte sie je wieder begegnen. Leni ahnt nichts und auch als ihre Mutter zusammenbricht, kann sie dies erst mit zeitlicher Verzögerung realisieren. Im Krankenhaus verliert sie jedes Zeitgefühl. Die Welt dreht sich nicht mehr, wie es scheint. Salome eilt ebenfalls ins Krankenhaus und kurz darauf wacht ihre Mutter auf. Zunächst ist sie sehr verwirrt und erzählt etwas von einer Elli, die sich für das Frauenkommando entschieden hat. Nach einer kurzen Ruhepause ist Elsa wieder voll da und erinnert sich an die Begegnung im "Elektrics". Sie würde den Mann kennen, nennt seinen Namen und den Ort, wo sie ihn einst kennenlernte: Auschwitz.

Jeden, der sich auch nur halbwegs mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzt, muss die Frage nach den unzähligen Einzelschicksalen quälen, die es zu jener Zeit gegeben haben muss. Das ganze Ausmaß jener Ereignisse ist schon in seiner Gesamtheit kaum zu erfassen und zu begreifen. Beleuchtet man einige wenige Einzelschicksale genauer, summiert sich das millionenfache Leid bis ins Unendliche.

Elsa und ihre Familie hat es nie gegeben. Personen und die Geschichte sind erfunden. Der historische Hintergrund aber nicht. Die Autorin schreibt in ihrem Nachwort von einer Begegnung, die sie zu diesem Roman inspirierte. Agnes Christofferson ist ganz und gar nicht der Auffassung wie jener Mann, der einen Artikel über die NS-Zeit las und meinte, die Sache sei doch längst vergessen.

Erst knapp 70 Jahre ist der zweite Weltkrieg zu Ende und schon ist die "Sache" vergessen. Viele wollen nichts mehr davon wissen und hören, anderen verweigert man entsprechende Informationen. Fachbücher gibt es vielleicht genug, doch nicht jeder findet einen Zugang dazu. Die fiktive Geschichte "Elsas Stern" kann das ändern oder zumindest erleichtern. Hier kann nachgelesen werden, wie sich das ungeheure Drama des zweiten Weltkriegs unmittelbar auf die Menschen auswirkte. Und dies gelingt Agnes Christofferson auf sehr eindringliche und nachhaltige Weise.

Es verwundert nicht, dass sie bei ihren Recherchen nicht nur leiden musste, sondern Tode mitstarb. Der Leser darf sich darauf einstellen, dass die Autorin schon deshalb nichts auslässt. Das würde auch keinen Sinn machen, denn es gab zu viele Elsas, Hannas und Lenis! Entsprechend umfangreich formuliert sie ihre Widmung. Elsas Stern ist all jenen gewidmet, "die nicht vergessen wollen".

 

Thomas Lawall - Oktober 2014

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum