Literatur

Einstein
Ein Leben in 99 Teilchen

von Samuel Graydon


304 Seiten
© Samuel Graydon 2023
© 2023 John Murray, London/UK
© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe Droemer Verlag
www.droemer-knaur.de
ISBN 978-3-426-27877-2



Es sind eigentlich mehr als "99 Teilchen", in diesem Fall also Geschichten, die Samuel Graydon zu erzählen weiß, denn in seiner elf Seiten starken Einleitung befinden sich bereits einige, teils sehr bemerkenswerte Anekdoten. Es soll sich beispielsweise zugetragen haben, dass sich zwei amerikanische Schüler etwas Besonderes ausgedacht haben. Sie wollten Einsteins Ruhm testen und schlossen eine Wette ab, ob es wohl reichen würde, wenn man auf einem Brief an ihn lediglich die Adresse "Albert Einstein, Europe" angeben würde. Wie das ausgegangen ist und wie Albert Einstein dies kommentierte, ist in jener Einleitung nachzulesen.

Der Autor und Wissenschaftsredakteur des "Times Literary Supplement" betritt in seinem ersten Buch gleich ein großes Parkett. Sein Anliegen war aber offenbar nicht, eine Biografie im herkömmlichen Sinn zu schreiben. Er nennt seine Aufzählung der 99 kurzen Kapitel, und die unterschiedliche Gestaltung derselben, ein "Mosaik".

"Zusammen sollen die Einzelteile ein Portrait zeichnen, das auf seine Weise nicht minder repräsentativ ist als eine herkömmliche Biografie."

Und jene gibt es in Hülle und Fülle. Samuel Graydon konnte also sozusagen aus dem Vollen schöpfen, wobei es bereits eine großartige Leistung ist, alle (bisher erschienenen) Schriften, die sich mit Einsteins Arbeit und Leben beschäftigen, gelesen zu haben, und die er im Verzeichnis seiner Quellen im einzelnen aufzählt. Die Betonung liegt hier auf "bisher", denn der sechzehnte Band der "Collected Papers of Albert Einstein", herausgegeben von der Princeton University Press, vervollständigt Einsteins Schriften (der erste Band erschien vor 36 Jahren) nunmehr erst bis 1929.

Samuel Graydon möchte in seinen "Teilchen" nicht nur dem unzweifelhaften Genie Einsteins huldigen, sondern auch den einen oder anderen Schatten nicht unerwähnt lassen, wobei das eine oder andere Persönlichkeitsmerkmal nicht einseitig "herausgearbeitet" werden soll. Einige Ambivalenzen verschiedenster Art scheint es in seinem Privatleben dennoch gegeben zu haben, auch was "rassistische Ansichten" (Asienreise/Reisetagebuch 1922) oder seinen Umgang mit Frauen betraf.

Bevor der Autor jedoch auf ein falsches Gleis gerät, dreht er ab, indem er Einsteins Gelingen bescheinigt, "liebenswert zu bleiben", was wohl auch die große Mehrzahl seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bestätigt. Diese Charaktereigenschaft belegt nebenbei auch die nicht gerade alltägliche Fähigkeit, die eigenen Fehler gnadenlos aufzudecken und zu akzeptieren. So musste er beispielsweise seine Theorie über die "einheitliche Feldtheorie" aufgeben.

"Das war, wie sich herausstellen sollte, Unsinn."

Der Quantenphysiker Wolfgang Pauli sagte ihm die Aufgabe seiner dahingehenden Denkweise voraus, und er sollte recht behalten. Es sollte jedoch eineinhalb Jahre dauern, bis ihn ein Brief Einsteins erreichte:

"Sie haben also recht gehabt, Sie Spitzbube."
 
Das schlaglichtartige Eintauchen in Einsteins Privatleben sowie den Streifzug durch seinen Werdegang als Wissenschaftler, seinem Leben VOR und NACH der Relativitätstheorie, fasziniert nachhaltig, lässt einen aber fast vergessen, dass es neben all den Erkenntnissen und Fehlschlägen, den zahlreichen Reisen, Umzügen oder Kontakten zu berühmten Persönlichkeiten auch einen, immer lästiger werdenden, politischen Hintergrund gab, der ihn 1933 schließlich dazu zwang, Deutschland und Europa für immer zu verlassen ...

Die ebenso informative wie unterhaltsame Lektüre wird am Ende des Buches durch ein Register vervollständigt sowie durch ein ausführliches Quellenverzeichnis komplettiert. Hier findet man (auch) Zugang zu wissenschaftlichen Abhandlungen über die spezielle Relativitätstheorie, die zur berühmtesten Gleichung der Wissenschaft führte: E = mc². Sie

"ergab sich einfach aus Einsteins Arbeit, ein nachträglicher Gedankenblitz..."

Nicht wenige werden sich nach der Lektüre dennoch fragen, so wie der Rezensent übrigens auch, ob sie die allgemeine und die spezielle Relativitätstheorie (endlich) wirklich verstanden haben. Vielleicht sollte man dies in diversen Kapiteln, oder an anderer Stelle, noch einmal ganz langsam nachlesen...

Immerhin ist man nach "Einstein - Ein Leben in 99 Teilchen" einem der größten Wissenschaftler der Geschichte ein wenig näher gekommen. Das ist nicht alles und doch (relativ) viel.

 

Thomas Lawall - Februar 2024

 

 

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