Literatur

EIN BLICK UM DIE ECKE DES LEBENS
Anthologie

Christine Henke, Ursula Jahnel,
Bianka Kipp, Almut Möhle


198 Seiten
1. Auflage April 2005
HolzheimerVerlag & raco NETWORX
21015 Hamburg
www.holzheimerverlag.de
ISBN 3-938297-03-4


"Diese Texte sind wie ein Strauß wunderbar duftender Blumen" lese ich auf dem Einband. Na ja, das klingt im Nachhinein ein wenig merkwürdig, denn die eine oder andere Textstelle lässt eher (nicht nur) ein Messer zwischen den Zähnen vermuten! In diesem Buch ist also keineswegs alles in Ordnung ...

Etwas ermüdend ist die Darstellung einiger Beziehungsprobleme, die zwar den Rahmen des Alltäglichen wiederspiegeln, den Leser aber letztlich langweilen. Wenn gar Vater-Tochter-Dramen um Anerkennung und/oder Erbstreitigkeiten dargeboten werden, muss ich mich fragen, was diese öffentliche Herumzickerei soll. Wen interessiert das? Statt bockig herumzulamentieren, sollte frau sich lieber überlegen, ob sie derart (naive) Rechtfertigungsversuche überhaupt nötig hat. Derart starke Persönlichkeiten sollten ihren Macho lieber postwendend auf den Mond schießen!
Andere (wenige) Geschichten bieten blanken Horror. Unfall, Mord oder Szenarien, wo einem "schmatzend das Fleisch heruntergelutscht wurde", sind dann wahrlich das Gegenteil eines duftenden Blumenstraußes und "einmalig und liebenswert" schon gar nicht. Weshalb also die falsche Fährte? Hallo? Keine Ahnung. Ich lege im Fazit einfach eine andere ...

"Ein Blick um die Ecke des Lebens" bietet aber wesentlich mehr - deshalb auch die Kritik gleich am Anfang, die somit abgehakt ist.
"Glück des Lebens", "Guten Morgen" und "Heute" von Christine Henke sind die ersten von vielen Höhepunkten. In nur wenigen Zeilen erleben wir eine Achterbahn der Gefühle: Rastloses Glück, den Verlust eines geliebten Menschen und die Monotonie des Alltags. Aber die Autorin schafft es trotz der erdrückenden Last, rettende Hoffung zu vermitteln! "Erhobenen Hauptes."
Bianka Kipp belehrt mit "Mut", trotzt mit "Tränen" und kehrt mit "Ignorieren" sogar vor der eigenen Tür, denn "Mut ist Macht und Tat." Und sie weiß, dass "die Liebe eines Freundes eine Brücke zur Ewigkeit ist" ("Geschichte").

"Zuversicht" bietet uns Ursula Jahnel an, und sie begeistert mit einer Liebeserklärung an den Reichtum der Natur ("Lieber Maler ..."). Auch kann sie Gegensätze wie ein "Brennendes Herz" und "Lebenslust" vereinen! Die Autorin hat einen Reichtum anzubieten, der mit allem Geld der Welt nicht zu bezahlen ist. Liebe!
Am Ende verlaufen wir uns in "Trügerischer Blütenzauber". Almut Möhle erzählt in ausdrucksstarker Bildersprache die Geschichte einer Frau, die betrogen wird. Von wem? Na von ihrem Mann natürlich. Interessanter ist die Frage: Mit wem!? Das wird aber hier nicht verraten. Die leider nicht ganz überraschende Wendung am Schluss lässt aber Wünsche offen. Na ja, die Story ist echt brillant geschrieben, ernst und zugleich mit viel Sprachwitz, aber nach der Auflösung fehlt die (notwendige) Action ...! Verdammt, ich will wissen, wie das weitergeht! Vielleicht bin ich auch nur enttäuscht, dass das Buch auf Seite 197 schon zu Ende ist ...

Es ist völlig unmöglich, auf alle Texte einzugehen und jeder Autorin gerecht zu werden. Deshalb will ich einfach pauschal behaupten, dass jeder einmal diesen "Blick um die Ecke des Lebens" riskieren sollte! Hier schreiben vier völlig unterschiedliche Menschen Gedichte und Geschichten über das Leben. Eine unbändige Lebenslust haben sie alle gemeinsam, dabei geben sie aber sowohl Ängste als auch Träume frei, und den festen Willen, nicht einfach alles so hinzunehmen. Es mag alles so sein wie es ist, deshalb müssen wir aber noch lange nicht tatenlos zusehen. Interessant sind die verschiedenen Wege, die das sog. Schicksal so zu gehen beliebt und die vier sehr unterschiedlichen Ansätze der Autorinnen, diesem zu begegnen. Man liest auch sehr bald heraus, dass hier verschiedene Generationen beteiligt sind. Eine sehr mutige Konstellation! Da capo, HolzheimerVerlag ...

Zum Schluss möchte ich alle vier Autorinnen noch einmal zitieren. Vier Sätze, die mir besonders gut gefallen haben. Nichts weltbewegendes, einfach nur vier Sätze, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Vier Sätze, die auch für sich alleine stehen können, neugierig machen oder einfach nur berühren:

"Mein Herz schlug wie ein Maschinengewehr gegen den Brustkorb." (Almut Möhle)
"Wir vergessen die Zeit ... Wir erleben ein Stück Ewigkeit." (Ursula Jahnel)
"Glück ist so einfach zu haben. Doch wehe, wenn wir danach suchen." (Christine Henke)
"Die Mitte der Nacht ist auch schon der Anfang eines neuen Tages." (Bianka Kipp)                                                        

Fazit: Anthologie der Gegensätze. Modernes Lesebuch mit Höhen und Tiefen. Litera-Tour mit Tiefgang.

 

Thomas Lawall - August 2006

 

 

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