Literatur

Dorsche haben traurige Augen
Geschichten aus Island


von Brigitte Bjarnason

140 Seiten
© Acabus Verlag, Hamburg 2011
www.acabus-verlag.de
ISBN: 978-3-86282-043-6



Nun ja, die erste Geschichte "Richtung Norden" kann mich (auf den ersten Blick) wenig begeistern. Sabine aus Berlin begegnet als Anhalterin dem LKW-Fahrer Sverrir, der in Island seit fünf Jahren zwischen Reykjavik und Akureyri hin und her pendelt. Sabine möchte nach Akureyri zu ihrer Freundin Ingibjörg und sie hat Glück, dass Sverrir gerade auf dem Weg dorthin ist. Eine weitere Konversation zwischen den beiden ist nicht möglich, da Sverrir weder Deutsch noch Englisch und Sabine kein Isländisch spricht. Die Geschichte endet gleichermaßen abrupt und banal. Man fragt sich als Leser: Ja und, wie geht es weiter? Interessant ist lediglich die wechselnde Erzählperspektive. Sverrir und Sabine kommentieren den Verlauf der Begegnung jeweils aus ihrer Sicht, ohne dass sie auf der langen Fahrt eine Konversation auch nur im Ansatz herstellen können. Was bleibt, ist eine flüchtige Begegnung zweier Menschen, die nicht mehr vom anderen kennengelernt haben als den Namen und die sich niemals wieder begegnen werden.

Weitaus dramatischer gestalten sich die Ereignisse in der zweiten Geschichte "Der Unfall", die sich jedoch etwas diffus gestaltet. Alexandra kommt mit ihrem Sohn Nonni (weshalb auch immer) in ein kleines isländisches Dorf. Sie bleibt eine Fremde, auch als sie Sveinn Sigurdsson, einen Einheimischen, heiratet. Eines Tages wird ihre Arbeitskollegin in einen schweren Unfall mit dem Sohn ihrer Nachbarin verwickelt. Auf nur wenigen Seiten wird die Situation abgehandelt und zwei Konflikte werden konstruiert. Alexandra stürzt sich in die Vorstellung, was wohl passiert wäre, wenn es ihren eigenen Sohn getroffen hätte. Auf der anderen Seite weiß sie nicht, wie sie sich ihrer Nachbarin gegenüber verhalten soll. Am Ende ist ganz plötzlich die Lösung erzählt und selbst die Unfallgegner sind und bleiben gute Freunde ...

Anders bei der dritten Geschichte. "Lawine" kann mich überzeugen. Vom Anfang bis zum Ende. Deshalb verrate ich auch nichts. Nur eines: Auch hier bleibt zwar einiges offen, doch am Ende schließt sich ein Kreis, und wer weiß schon genau, was die Zukunft (wann) bringt. "Ein weiter Weg" und "Blaue Lupinen" gehören ebenfalls zu meinen Favoriten. Beide Geschichten berichten von Menschen, die am Ende ähnliche Konsequenzen ziehen! Auf einen ganz besonderen Dialog kann man sich in in "Sind sie es, Herr Kafka?" freuen. Die zehnte Geschichte bewegt sich durchaus auf einem ganz anderen Niveau. Davon in Zukunft bitte gerne mehr!

Viele Geschichten hinterlassen leider einen recht halbfertigen Eindruck. Etwas "Feintuning" hätte den Geschichten sicherlich gut getan. Viel zu oft frage ich mich am Ende: Wie jetzt - war's das schon? Da fehlt doch etwas! Meine Zeilen erheben aber insofern keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, da jeder Leser seine eigenen Standpunkte finden mag. In einer Sammlung mit Kurzgeschichten ticken die Uhren sowieso anders, und ich bin mir deshalb fast sicher, dass in dieser Fundgrube für jeden etwas dabei ist.

Vor dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull habe ich mich wenig mit Island beschäftigt. Nach der Lektüre weiß ich keinesfalls alles über das Land der Märchen und Volkssagen. Aber ich weiß immerhin ein bisschen mehr und das ist schließlich auch etwas wert.

 

Thomas Lawall - September 2011

 

 

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