Dinge, die vom Himmel fallen
von Selja Ahava
206 Seiten Ungekürzte Taschenbuchausgabe Piper Verlag GmbH, München Februar 2019 © Delja Ahava 2015 © der deutschsprachigen Ausgabe: mareverlag, Hamburg 2017 ISBN 978-3-492-31258-5
Die Leute reden. Tante Annu wäre verrückt, sagen sie. Nach einem Lottogewinn kauft sie sich ein altes Gutshaus, was viel zu groß für sie ist. Fünfzehn Schlafzimmer sind in der Tat etwas zu viel, aber ihr gefällt das Haus. Auch wenn sie nicht alle Zimmer nutzen kann. Eine Heizung auch nicht, denn es ist keine vorhanden. "Als der Winter kam, ergaben sich die Wände langsam der Kälte."
Im Winter zieht sie sich in die Küche zurück. Dort steht ein Kachelofen und der reicht ihr. Es ist ihr kleines, aber gemütliches Winterquartier. Der Rest des Hauses bleibt der Kälte überlassen. Schließlich ist es ungemein praktisch, "wenn man die Milch einfach auf dem Fußboden kalt stellen kann". Und im Frühjahr, wenn es im Haus knistert und kracht, wachen die Balken wieder auf und die Wärme bringt "den Blutkreislauf des Hauses zum Zirkulieren".
Man sollte meinen, Tante Annu ginge es gut. Dem ist aber keineswegs so, denn sie gewinnt ein zweites Mal im Lotto. Mit dieser unerwarteten Wendung kommt sie nicht zurecht. Ihr Leben gerät aus den Fugen.
Das Leben der achtjährigen Saara ebenfalls, doch aus völlig anderen Gründen. Sie verliert ihre Mutter durch ein tragisches Unglück. Ihr Vater ist ihr keine Stütze und nicht in der Lage, das Unglück mit ihr gemeinsam auch nur im Ansatz zu verarbeiten. Sie ist sich sicher, dass ihr Vater ein so grauenhaftes Bild gesehen hat, "dass es nie mehr weggeht". Er scheint daran zu zerbrechen.
Sie selbst erfindet sich eigene Erklärungen und malt sich in ihrer Fantasie aus, was wohl geschehen sein mag. Ihre Vorstellungen sind diffus, aber ihre Rettung. Alles was ihr bleibt, sind die selbsterfundenen Bilder, die eine erbarmungslose Realität immerhin etwas verschleiern können. "Mama habe ich nie mehr gesehen."
Selja Ahava zeichnet die Dinge aus Sicht eines Kindes, was ihr gleich zu Beginn des Buches sehr gut gelingt. Im weiteren Verlauf stellt sie den zweifellos etwas bizarren Unfall in Zusammenhang mit anderen zufälligen Begebenheiten. Da wäre die Tante, die mit ihrem "Glück" hadert und zu allem Überfluss einen Briefwechsel mit einem schottischen Fischer beginnt, der viermal vom Blitz getroffen wurde.
Fast gerät die Geschichte aus den Fugen, denn ein unmittelbarer Zusammenhang lässt sich nur schwer erkennen. Weitere Episoden werden aufgezählt, die ein ganzes Leben verändern oder im schlimmsten Fall beenden können. Unterschiedlicher können die Auswirkungen nicht sein, denn ein berühmter Artist und ein Leichtathlet hatten sich ihre Zukunft jeweils ganz anders vorgestellt.
Im weiteren Verlauf kristallisiert sich jedoch immer mehr heraus, was die Autorin mit ihrem Roman beabsichtigt. Auch wenn das zu Beginn so grandios erzählte Kammerspiel um die kleine Saara und ihre Familie im Mittelteil merklich abzufallen scheint und immer mehr Fragezeichen erzeugt, lässt sich später, hinter den vermeintlich nicht zur Geschichte passenden Elementen, eine gewisse Absicht erkennen. Die innere Logik setzt sich, wie der Beginn eines neuen Tages, am Ende klar durch. "Dinge, die vom Himmel fallen" ist eine wunderbare Metapher für die Überraschungen des Lebens und deren mitunter langwieriger Verarbeitung. Ganz egal, ob es sich nun um positive oder negative Begebenheiten handelt. Momente, die ein ganzes Leben umkrempeln können und das, was man im allgemeinen als Schicksal bezeichnet.
Und dann wäre da noch jene eigentümliche Stimmung, die nicht so schnell vergeht und die es vielleicht nur in Finnland gibt.
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