Die linke Hand des Bösen
von Wolfgang Burger
430 Seiten © Piper Verlag GmbH, München 2017 www.piper.de ISBN 978-3-492-06031-8
Zuerst gilt es, sich einen Überblick zu verschaffen. Alexander Gerlach und seine Kollegen versammeln sich in der schäbigen Küche des Mordopfers, um erste Eindrücke zu verarbeiten und um die bisher bekannten Fakten zu sortieren. Der Heidelberger Kriminaloberrat hat es zunächst vermieden, den Tatort zu besichtigen. Sollen sich doch seine Leute darum kümmern.
Es wären nur wenige Schritte gewesen, doch was hinter dieser Tür geschehen war, will er sich nicht mehr antun. "Nicht mehr. Nie mehr." Und wozu ist er schließlich der Chef? Zudem würde er doch nur im Weg herumstehen.
Nun sitzen sie zusammen und beginnen die Suche nach einem Motiv. Wer und warum jemand einen Kollegen umgebracht hatte, bildet die zusätzliche Brisanz des Falles. Arne Heldt, der sich erst kürzlich von der Kripo in Konstanz nach Heidelberg versetzen ließ, hätte nur noch ein Jahr bis zu seiner Pensionierung arbeiten müssen, was erste Fragezeichen aufwirft ...
Und genauso baut Wolfgang Burger seine Spannung auf. Das Buch beginnt mit vollendeten Tatsachen. Direkt und unmittelbar. Die Fragen sind gestellt und sofort beginnt eine Ermittlung sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld des Kollegen und Opfers. Diese wohldosierte Millimeterarbeit des Autoren zieht Leserinnen und Leser von der ersten Zeile an in ihren Bann.
Es ist ein gigantisches Puzzle, das zusammengesetzt werden muss. Doch damit nicht genug, denn private Probleme des Kriminaloberrats belasten die beruflichen Pflichten zusätzlich. Einerseits ist es erfreulich, wenn seine beiden fast erwachsenen Töchter auf Weihnachtsgeschenke verzichten wollen, dieses Angebot aber an bestimmte, gar nicht mal unteure, Bedingungen knüpfen. Auch die Hürden einer gewissen Neuorientierung in Sachen Speiseplan, die seine Liebste einfordert, sind zusätzlich zu überwinden.
Man mag es nicht glauben, dass hier schon der 14. Band der Alexander-Gerlach-Reihe vorliegt (wobei sich der Folgeband bereits im Oktober 2018 anschließt!). Auch wenn der Hauptakteur in diesem Fall an seine Grenzen gerät. Ist er womöglich der ganzen Sache nicht mehr gewachsen? Und hat sein italienischer Freund etwa recht, wenn er in einer seiner ebenso selbstgebastelten wie existenziell angehauchten Weisheit behauptet, dass Menschen "in der Summe ungefähr so intelligent wie Hefepilze im Gärbottich" sind?
Zum Glück kann man sich mittels (welt-)politischer Seitenhiebe etwas erholen. Zudem leibt und lebt die Geschichte auch und vor allem durch die lebendigen und sehr markanten Charakterzeichnungen des Autors. Kollege Podolsky, der sein Wesen schneller verändern kann "als ein Chamäleon die Farbe", ist da bei weitem keine Ausnahme.
Auch die eingestreuten musikalischen Verweise sind der erlesenen Art, was sich angesichts der zitierten Komponisten und Interpreten reichlich untertrieben anhört. Wolfgang Burger spannt den Bogen von Claudio Monteverdi über Richard Wagner zu Peter Lehel und Keith Jarrett. Wenn man von dem schaurigen Fall in "Die linke Hand des Bösen" einmal absieht, ist dieser Kriminalroman, so oder so, die reinste Wundertüte!
Heidelberger Impressionen fehlen, wie immer, ebenfalls nicht, auch wenn beispielsweise die angeblich längste Fußgängerzone Europas oder Ereignisse wie das alljährliche Hochwasser und die gesperrte Uferstraße nur beiläufig erwähnt werden. Typisch Heidelberg eben ... und typisch Wolfgang Burger sowieso.
|