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Die, deren Träume zerbrochen sind
von Yavuz Ekinci
166 Seiten © 2025 der deutschen Ausgabe: Verlag Antje Kunstmann GmbH www.kunstmann.de ISBN 978-3-95614-652-7
Nicht alle Tage hält man ein (in der Türkei) verbotenes Buch in Händen. Unter dem Titel "Rüyası Bölünenler" bereits 2014 erschienen, wurde es neun Jahre später konfisziert und verboten.
Auch wenn eine Anklage Ende 2024 abgewiesen wurde, gilt das Verbot weiterhin. Der 2023 ausgesprochene Verdacht der "Terrorpropaganda" für die PKK steht aber weiterhin im Raum, zumal das Verfahren wieder aufgenommen wurde.
Etwas Verbotenes in Händen zu halten, kann durch die nicht zu leugnende Anziehungskraft so etwas wie eine, wenn auch diffuse, Faszination auslösen. Jene, die dieses Buch betrifft, begründet sich aber völlig anders.
Der kurdische Autor Yavuz Ekinci erreicht das direkt und unmittelbar mit Sprache. Allein die Überschrift des ersten Kapitels animiert unsere Vorstellungskraft und erzeugt, in diesem Fall bedrückende, Bilder: "In mir wächst eine Wüste."
Gemeint ist Ismail, den sein bisheriger Lebensweg in eine fast aussichtslos erscheinende Zerrissenheit geführt hat. Aus seiner Heimat in Batman vor achtzehn Jahren nach Deutschland geflohen, holt ihn sein Gewissen ein. Sein Bruder Yusuf verschwand einst ohne ein Wort, um sich offenbar dem kurdischen Widerstand anzuschließen.
Ismails Vater macht ihn dafür verantwortlich. Eine massive Anklage, die Ismail völlig aus der Bahn wirft, denn so wie es aussieht, hat er nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen Vater für immer verloren:
"Geh fort und komm nie wieder zurück. Nicht einmal an meinem Grab will ich dich haben!"
In Deutschland nicht heimisch geworden, fühlt er sich als Fremder im Paradies. Anders scheint es nach seiner Rückkehr nach Batman auch dort nicht zu sein. Und so entschließt er sich, in die Berge Kurdistans zu reisen, um, auf sehr abenteuerliche Weise, seinen Bruder zu suchen...
Yavuz Ekinci zeichnet ein Familiendrama als Abbild der kurdischen Gesellschaft und ihrer Situation ganz allgemein. Deren Problematik weiß er sprachlich einerseits eindrücklich, aber andererseits in einem leicht zugänglichen Maß auszudrücken. Was aber keineswegs bedeutet, dass er die Dinge beschönigt.
Beispielsweise wenn er die Selbstmordgedanken seiner Hauptfigur genauer unter die Lupe nimmt. Denn jene gewannen nicht einmal unter Haft und Folter die Oberhand.
"Am Leben hielt mich eigentlich nur die Unzahl unbeantworteter Fragen."
Berührend sind die zahllosen Sprachbilder, wie die Hände seines schwerkranken, im Bett liegenden Vaters, welche herabhängen, "wie abgebrochene Zweige", oder der große Unterschied, ob man "nicht mit den Ohren, sondern direkt mit dem Herzen hört."
Stets schwingt ein Gefühl für das Wesentliche mit, die Leserinnen und Leser in eine nur schwer vorstellbare Lebenswirklichkeit so behutsam wie möglich heranführt. Von "Terrorpropaganda" sind übrigens nicht einmal Spurenelemente erkennbar.
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