Literatur

Die Zeugen


von Jurica Pavičić


236 Seiten
© 1998 Jurica Pavičić
Überarbeitete Neuauflage
© Schruf & Stipetic GbR, Berlin 2019
www.schruf-stipetic.de
ISBN 978-3-944359-44-1



Er würde Gewissensbisse haben, fürchtet Lidija. Und nicht nur das. Denn wie könnte er vergessen, was in jenem Minenfeld geschehen war. Schlimm genug was passierte, doch die zusätzliche Tragik besteht darin, dass Krešo die Minen selbst verlegt hatte. Tretminen, Springminen und Stockminen, deren Lage er bestens kannte und sogar aufgeschrieben hatte. Ihr Bruder ist nun zurückgekehrt und versichert ihr, alles gut überstanden zu haben. Sie glaubt ihm nicht.

Derweil spielen sich in einem Vorort von Split dramatische Dinge ab. Ein Bombenattentat misslingt. Tišma, ein serbischer Unternehmer, erwischt die Attentäter auf frischer Tat. Sein Pech, dass sie dachten, er wäre nicht zu Hause. Das kostet ihn das Leben. Ebenso unerwartet ist seine zwölfjährige Tochter ebenfalls im Haus. Sie wird Zeugin, und spätestens jetzt wird die Sache kompliziert ...

"Die Zeugen", erschienen 1998, wurde längst verfilmt und bereits 2004 auf der Berlinale mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Die schaurige Kulisse für Pavičićs ersten Roman bildet der Kroatienkrieg (1991-1995), wobei es dem Journalisten, Filmkritiker und Autor weniger darauf ankommt, die Kriegsereignisse im Einzelnen nachzuerzählen. Vielmehr liegt ihm daran, in Romanform zu schildern, was der Krieg mit den Menschen anrichtet, und was jene, erblindet in diffuser Wut und wahllosem Hass, anzurichten in der Lage sind. Die Folgen eines ausufernden Nationalismus dergestalt in Szene zu setzen, erscheinen in Anbetracht der momentanen Situation in Europa und der Welt fast wie eine versteckte Warnung.

Insofern ist es falsch, das Buch schlicht als "Krimi" zu bezeichnen. Das ist einfach zu wenig. Ein Kriegsdrama ist es mindestens auch und ein Beziehungsdrama sowieso. Von einer erschreckenden Selbstverständlichkeit sind auch die gesellschaftlichen Hintergründe und Zwangsläufigkeiten. Auch in den Familien stimmt nichts mehr.

Zu Hause sein ist keine Normalität mehr. Und wenn, dann ist man fast ein Fremder. Also geht man lieber wieder an die Front: "Das war einfacher als daheim." Und lukrativer obendrein. Zu Hause wartet nur die ungeliebte, schlecht bezahlte Arbeit. Anders beim Militär, wo es "anständig Geld" gibt, dazu noch die üblichen Aufschläge. Journalisten und Ärzten geht es ähnlich. "Ohne das ganze Unglück und Elend könnten wir einpacken."

Am Ende der Geschichte laufen alle Fäden wieder zusammen. Das Konzentrat aus Unrecht steuert unaufhaltsam einem Showdown in mehreren Akten entgegen. Und zumindest da ist das Buch wieder ein handfester Kriminalroman. Der Fall ist abgeschlossen. Zurück bleiben eine sinnlose Tat und der Nachhall eines weiteren, sinnlosen Krieges.

 

Thomas Lawall - März 2019

 

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