Die Vernachlässigten Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen
von Dario Schramm
142 Seiten © 2022 Droemer Verlag www.droemer.de ISBN 978-3-426-27888-8
Wenn sämtliche Kinder das Haus verlassen haben, verliert man schnell den Kontakt zur Schule und allem, was dazugehört. Es grenzt schon fast an Realitätsverlust, wenn das Leben plötzlich in völlig anderen Bahnen verläuft. Schnell und manchmal allzu voreilig erwischt man sich dabei, im Grunde froh zu sein, von dem ganzen "Kram" nichts mehr zu hören.
Dass es bereits damals an so manchen Rahmenbedingungen gefehlt hat, ist dem Rezensenten jedoch noch in bester Erinnerung. Mit intensiv gepflegten Kontakten zu den einzelnen Schulen ließ sich der eine oder andere Konflikt oder Missstand jedoch meist überraschend gut ausbügeln, wenn auch am Gesamtkonzept wenig bis gar nichts zu rütteln war.
Was nun Dario Schramm, Ex-Schülersprecher und ehem. Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz (bis Herbst 2021), schildert, lässt aufhorchen und motiviert gleichzeitig, wieder den einen oder anderen Blick auf den Schulalltag zu werfen. Umgehend stellt sich wieder das gewohnte Unbehagen ein ...
Man könnte meinen, wir seien ein Entwicklungsland, wenn man zunächst einmal den Fokus auf gewisse äußere Zustände legt. Wie kann es sein, dass so manche schulische Einrichtung immer noch den diskreten Charme eines Gefängnisses verströmt? Toilettenanlagen seien mancherorts (immer noch) derart marode, dass Schülerinnen und Schüler lieber warten, bis sie wieder zu Hause sind.
Von dem stark restaurationsbedürftigen Schulsystem einmal abgesehen, fehlt es offenbar an allen Ecken und Enden, wenigstens materielle Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen reibungslosen und vor allem zeitgemäßen Schulbetrieb garantieren. Wie kann es sein, dass moderne Lehrmittel wie Tablets noch immer Mangelware zu sein scheinen? Finanziell gut ausgestattete Elternhäuser müssen/können ihre Kinder selbst damit ausstatten, aber wie sieht es mit einkommensschwachen Haushalten aus?
"So geht die Bildungsschere immer weiter auf."
In Zeiten der Pandemie wurde es natürlich nicht einfacher, dennoch muss die Frage erlaubt sein, weshalb bis Juni 2021 noch immer kein WLAN für die Hälfte aller Schulen zur Verfügung stand. Und wie kann es sein, dass sich die "Nachwuchsstätten" in kommunaler Hand befinden, die in aller Regel finanziell schwach ausgestattet sind. Selbst wenn Gelder vorhanden sind, scheitert ein zügiger Aus- und Neubau an einem gigantischen zu bewältigenden bürokratischen Hürdenlauf aus Ausschreibungen und Genehmigungsverfahren.
Und so geht das munter weiter, was der Autor in weiteren Kapiteln, die sich mit Inklusion, Kinderarmut, Chancengleichheit oder politischer Bildung beschäftigen, mit einfachen Worten, aber unüberhörbarem Nachdruck, leidenschaftlich schildert. Er plädiert u. a. dafür, den Lehrermangel an Grundschulen durch die Angleichung der Besoldungsgruppen an jene der Gymnasiallehrer, wo ein Überschuss vorhanden ist, auszugleichen.
"Die Arbeit der Grundschulen ist doch nicht weniger wichtig für die Entwicklung der Kinder als die in den weiterführenden Schulen."
Zudem würden Zugangsbeschränkungen der Universitäten weitere unsinnige Hürden bilden.
Dario Schramm hat mit seiner Streitschrift einen umfassenden Überblick zur aktuellen Situation von Schülerinnen und Schülern geschaffen. Er tut es mit leidenschaftlicher Vehemenz, jedoch ohne einseitiges Klagen. Bleibt zu hoffen, dass er etwas bewirken kann. Wenn nicht, muss er nach seinem Studium von Recht und Politik, in dem ihm dann zur Verfügung stehenden Rahmen, weiter an der Umsetzung seiner Thesen aktiv mitarbeiten.
Vermutlich wird es sich dennoch, auch ohne Corona, ziehen, das "völlig veraltete System in ein zukunftsfähiges zu transformieren".
|