Die Tote im Cello-Kasten
von Peter Natter
192 Seiten © Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2014 www.haymonverlag.at ISBN 978-3-85218-952-9
Die beiden Dorfpolizisten sind mit der Situation restlos überfordert. Die Schlichtung einer zünftigen Wirtshausrauferei oder das Einfangen entlaufener Zuchtbullen ist ihnen weitaus lieber, als den Tatort eines Mordverbrechens zu bewachen. Der Anblick der splitternackten Leiche verstört die bodenständigen Beamten zutiefst, und sie passt so gar nicht in ihren beschaulichen, ländlich geprägten Polizeialltag.
Bis zur Ankunft des Inspektors werden sie sich noch etwas gedulden müssen. Der unsanft aus seinen Träumen Erweckte hat zunächst noch gewisse Anlaufschwierigkeiten. Isidor Ibele ist jedoch Profi genug, um sich, "der äußeren Unbill zum Trotz", erst einmal ausgiebig seinem Frühstück zu widmen. In Schwarzenberg hat es einen Mordalarm gegeben, was ihn jedoch als "Amalgam aus Gelassenheit und Konzentration" keineswegs aus der Spur bringt.
Zudem hat er sich mit den "nicht gänzlich ironiefreien Kommentaren" seiner Frau auseinanderzusetzen, da er sich letztlich gezwungen sieht, einmal mehr seinen Aufbruch trotz aller Professionalität zu überstürzen. "Rösle" bringt es auf den Punkt: "Immer pressiert es bei euch am meisten, wenn es nicht mehr pressiert." Zudem könnte man doch einmal "vor der bösen Tat am Mordschauplatz eintreffen"...
Bereits auf der ersten Seite stellt Peter Natter etwas klar. Amtlich sozusagen, denn der "Prolog im Amt" beschäftigt sich zunächst mit den Befindlichkeiten seiner Hauptfigur Isidor Ibele. Nebenbei teilt er kräftig aus, indem er dem Lokalfernsehen und seinem Kulturauftrag eine Breitseite verpasst. Ebenso beiläufig stellt er Sekretärin Antoinette Hagen "in all ihrer Pracht und Herrlichkeit" vor, die dereinst "in ihrer ungebremsten postpubertären Girly-Blüte im Vorzimmer des Chefinspektors installiert wurde".
Was der Autor allein in diese beiden Seiten packt sucht seinesgleichen und damit verspricht er einen Kriminalroman, der sich von den ebenso geradlinig erzählten wie "flüssig geschriebenen" Nichtigkeiten im Mord- und Totschlag-Regal, meist durch den einen oder anderen Bestseller-Aufdruck besonders hervorgehoben, unterscheidet. Und was Peter Natter verspricht, hält er bis zur letzten Seite, und unterhält damit auf eine wahrlich ausgezeichnete Weise und auf einem völlig anderen Niveau, breit gefächerte Gesellschaftskritik inbegriffen.
Immer wieder gibt es Passagen, die man gerne noch einmal liest, um einerseits nicht zu schnell zum Ende zu kommen und andererseits, um sich die eine oder andere Situation noch einmal auf die innere Leinwand zu spielen. Neben tiefgründigen Charakterzeichnungen, beispielsweise die des "dramatischen Komödianten" Bilgeri, der vom Leben "nicht nur im philosophischen, sondern auch im rein praktischen und ursprünglichen Sinne so gut wie nichts versteht", gelingen dem Autor auch ganz erstaunliche Einblicke, wie zum Beispiel in das Mysterium des Inhalts einer Damenhandtasche: "Nicht einmal ein klingelndes blinkendes Handy ist aus solchen Abgründen einfach zu bergen!"
Wenn es allzu weibliche Reize zu be- und umschreiben gilt, insbesondere jene der bereits zitierten Sekretärin, zieht der Autor alle Register distinguierter Kunst im Ausdruck, um männlich-triviale "Augen-Blicke" in vornehme Zurückhaltung zu transformieren. Neugier verwandelt sich in Bewunderung, und die Phantasie geht auf Reisen, wenn sich Beschreibungen von Äußerlichkeiten behutsam an das Material einer Bluse herantasten, "unter der, in Spitzenwunderwerke verpackt, deutliche Reize vielversprechende Präsenz demonstrieren".
Wenn einem so viel Gutes wird beschert, könnte man fast die Haupthandlung vergessen, sich auf die Charakterstudien der Protagonisten und das Füllhorn des literarischen Beiwerks vertiefen, und den weiteren Umständen nur mehr wenig Beachtung schenken. Doch im weiteren Verlauf gestaltet sich die Geschichte abgründig und böse, bis sie eskaliert und somit endgültig keine Gefahr mehr besteht, den Faden zu verlieren ... höchstens hier und da die Fassung vielleicht.
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