Die Straßenbahn kommt Die Geschichte der Bamberger Tram von 1897 bis 1922
von Gerd Müller - Jürgen Schraudner - Wolfgang Wußmann
120 Seiten 1.Auflage 2017 © 2017, Heinrichs-Verlag GmbH Bamberg www.heinrichs-verlag.de ISBN 978-3-89889-217-9
Man könnte ja vermuten, dieses Buch könne nur für einen recht überschaubaren Leserkreis interessant sein, welcher dann noch weiter auf jene Minderheit zu reduzieren wäre, die sich den Luxus einer Leidenschaft für historische Verkehrsmittel leistet.
Dieser Irrtum kann aber ebenso schnell wie nachhaltig aus der Welt geschafft werden, denn die Autoren bieten in diesem Werk ein sehr breit angelegtes Konzept an. Natürlich dreht sich alles, wie es der Titel unzweifelhaft andeutet, um die Geschichte der Bamberger Straßenbahn, welche vor fast 100 Jahren ihren Dienst einstellte. Doch nach einem Vorwort und Vorstellung des Autorenteams, holen diese erst einmal sehr weit aus.
Die Zeit der Kutschen näherte sich dem Ende, wobei es noch einige Zwischenstufen, wie Pferdeomnibus und Pferdebahn, gab, die aus heutiger Sicht mehr als kurios erscheinen. Mitte des 19. Jahrhunderts nahm das "Industrielle Zeitalter" Fahrt auf und mit der ersten Eisenbahnverbindung von Nürnberg nach Fürth begann eine völlig neue Epoche.
Was sich im Großen abzeichnete, musste auch Auswirkungen im Kleinen zeigen. Wie sollte man die allerorts entstehenden Eisenbahnanbindungen - in Bamberg war es 1844 soweit - innerorts im Rahmen der jeweiligen Erfordernisse weiterführen? Vor diesem Hintergrund schildern die Autoren den schwierigen und langwierigen Entwicklungs- und Entscheidungsprozess, der zur Einrichtung einer elektrischen Straßenbahn in Bamberg führte.
Das ist ebenso informativ wie spannend. Selbst unterhaltsame Anteile, beispielsweise Auszüge der "Ortspolizeilichen Vorschriften zum Betrieb der Straßenbahn", die man standesgemäß als formulierungstechnische "Entgleisungen" bezeichnen könnte, fehlen nicht. Viel Raum nehmen Vorschriften zum Thema Geschwindigkeit ein. Insbesondere wenn es "Menschen, Tiere oder andere Verkehrshindernisse" betrifft.
Auch ein Blick in damalige "Tarifverträge" mag belustigen oder gar befremden, denn die Verdienstmöglichkeiten in der "guten alten Zeit" gestalteten sich mit Monatsgehältern im zweistelligen Bereich mehr als bescheiden. Überlange Arbeitszeiten und Anzahl der freien bzw. Urlaubstage können regelrecht erschrecken.
Die Auswahl des Bildmaterials, aus den Beständen des Stadtarchivs, der Staatsbibliothek sowie aus dem Privatarchiv Müllers, ist ebenfalls erlesen, wobei die historischen Fotos, insbesondere die großformatigen, insofern einen unschätzbaren Wert besitzen, als bis heute fast keinerlei Materialien aus jener Zeit erhalten geblieben sind, die in Zusammenhang mit der damaligen Bahn stehen. Einzig ganze 41 Wandrosetten für die Befestigung der Oberleitungen sind noch zu finden! Dachte man ...
Doch zunächst zu einer weiteren Besonderheit des Buches, denn Hauptinitiator Gerd Müller, der 2015 die Idee zu diesem Buch hatte, der Bamberger Heimat- und Mundartautor Wolfgang Wußmann sowie Fotografenmeister Jürgen Schraudner haben sich die Mühe gemacht, die damalige Linienführung komplett zu begehen, um die wenigen Spuren der Bamberger Straßenbahn zu sichten. Sämtliche Stellen, an denen sich noch jene gusseisernen Halterungen an Hauswänden befinden, wurden katalogisiert und auf einem zweiseitigen Plan verzeichnet! Jedenfalls fast alle, denn ganz aktuell sind es bereits zwanzig weitere Stellen, die aufmerksame Zeitgenossen entdeckt haben.
Doch damit nicht genug, denn weitere Recherchen beleuchten, im Zusammenhang mit dem Personennahverkehr, die Zeit nach der Bahn bis in die Gegenwart. Komplettiert wird das Werk durch "Erinnerungen von Zeitzeugen", zahlreiche Hinweise auf Sehenswertes in Bamberg, sowie eine zwölfseitige Dokumentation wichtiger Ereignisse in Bamberg ab 1844 bis 2018, bescheiden als "Randnotizen" tituliert.
Etwas Kritik ist nur formal und ausschließlich in Richtung Verlag anzumelden. So hätte dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat gutgetan, sowie eine Grafikabteilung, welche grobkörnige Fotos, wie auf Seite 85, oder eine Vielzahl, die viel zu dunkel geraten sind, vor Drucklegung noch dementsprechend korrigiert.
Mit einer elektrischen Bahn hat alles angefangen und aus heutiger Sicht zeichnet sich eine bemerkenswerte Parallele ab, denn die Zukunft wird ebenfalls und unzweifelhaft elektrisch sein! So befindet sich im Schlussteil des gelungenen Werkes ein ausführlicher Blick in die Konzepte für den Nahverkehr der Zukunft. Auch diese Passage ist allgemeingültig und somit dürfte "Die Straßenbahn kommt", weit über die Stadtgrenzen Bambergs hinaus, einen größeren Leserkreis ansprechen, was die zweite (hoffentlich korrigierte) Auflage, Anfang 2018 erschienen, belegt. Und noch etwas: Wer die Stadt noch nicht kennenlernen durfte, wird es spätestens nach Lektüre dieses Buches wollen.
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