Literatur

Die Reise durch Franken

von Matthias Egersdörfer und Jürgen Roth


352 Seiten
Ungekürzte Taschenbuchausgabe 2016
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2014
www.piper.de
ISBN 978-3-492-30747-5



Pauschal gesagt ist Fürth, "Nürnbergs kleine Schwester", keine besonders schöne Stadt. "Ein Leben zu Fürth ist beim besten Willen nicht möglich" was knapp hunderttausend Einwohner bis heute nicht akzeptieren möchten. Auch der Bahnhof, der "verludertsten Bierschwemme nördlich der Alpen" und das "verachtungswürdige neobarocke Stadttheater" sollen keine Zierde sein.

Ebenfalls pauschal gesagt, mag Jürgen Roth, Chronist und Frankenerkunder, die Burgenromanik um die Veste Coburg, die Kulmbacher Plassenburg sowie das Schloss Johannisburg in Aschaffenburg ganz und gar nicht bzw. er "pfeift" darauf. Statt dessen interessiert er sich für die Ergründung der offenbar bestehenden Feindschaft zwischen Fürthern und Nürnbergern.

Es folgen weitere, handverlesene Pauschalitäten. Bis ich "Halt!" sage.

Matthias Egersdörfer hasst nicht nur die Kirchweih einer bestimmten Ortschaft, sondern derlei Veranstaltungen generell. "Schmierige Zwangsbelustigung" ist das alles und er fürchtet sich vor den "gefährlichen Frohsinnsbastarden" und dem Frohsinn an sich. Vor dem Konsum von alkoholischen Getränken allerdings weniger. Seine Art der Gemütlichkeit findet eher in einem menschenleeren fränkischen Wirtshaus statt.

Über Emotionen spricht der Franke nicht. Und er frönt der seltsamen Leidenschaft einer "an den Geiz grenzenden Neugierde". Das Eigene gefällt ihnen nicht, nur das was wiederum anderen nicht gefällt. Beispielsweise hat Nürnberg eine "ostige" Atmosphäre und ist "nicht unbedingt schöner als Duisburg".

Weniger ostig als frostig wird es dann in jenen Kapiteln, welche an die Eskalation des antisemitischen Terrors in Nürnberg erinnern. Die Wortwahl des Chronisten passt sich den damaligen Ereignissen an. Auch Namen werden genannt - wem das gefallen mag oder nicht, ist gleichgültig. Letztlich folgten die Nürnberger Oberen und Leitfiguren einer schönen Tradition, denn bereits 1298 starte hier das erste Judenpogrom.

Nicht wenige Einheimische kommen zu Wort. Die Autoren nehmen sich die Zeit, ausgedehnte Dialoge originalgetreu wiederzugeben, was es für Leserinnen und Leser wiederum nicht gerade einfacher macht. Diese Passagen können, neben den "Buchstabenbergen", insbesondere jenen des Herrn Roth, mitunter etwas ermüden, zumal sich der Nichtfranke die besondere Betonung des Fränkischen eh nicht vorzustellen vermag. Dennoch spielt die "dialektale Aufsplitterung" Frankens, unter besonderer Berücksichtigung der "Äppel-Öppel-Grenze" bzw. der "Appel-Apfel-Linie" oder der "Diminutivgrenze" kurz hinter Aschaffenburg, eine maßgebliche Rolle.

Halt! Weshalb, wieso und warum erklären der Kabarettist Matthias Egersdörfer und der Schriftsteller und Journalist Jürgen Roth in ihrem gemeinsamen Werk jeweils etwas genauer. Sehr genau. Dem Zaungast und Nichtortskundigen bleibt regelrecht das Lachen im Halse stecken. Wer den Herrn Egersdörfer einmal auf der Bühne erlebt hat, ist dergleichen gewohnt und gut vorbereitet, doch Jürgen Roth legt gelegentlich, mit literarischem Vorschlaghammer bewaffnet, noch ein paar Kohlen drauf. Eher ein paar Schippen, genauer gesagt!

Wer sich durch das Minenfeld der gegenseitigen Spitzfindigkeiten gekämpft hat, wird mit tiefenpsychologisch fundierten Geheimnissen der fränkischen Seele gesegnet. Gleichwohl erfährt man, fast so nebenbei, welche Landschaften, Sehenswürdigkeiten, Metzgereien und Bäckereien wirklich eines Besuches würdig sind. Wir werden das im Sommerurlaub 2016 berücksichtigen, werte Herren!

Alles in allem ist "Die Reise durch Franken" ein außerordentlich unkonventioneller Reiseführer, zudem als gut 350seitiger Briefwechsel getarnt und gar nicht mal unanstrengend zu lesen. Schon deshalb bin ich mir absolut sicher, dass die mit allerlei Digitalem schwer bewaffneten Touristenhorden niemals die genannten Wege neben den ausgetretenen Standartrouten oder gar die "Antiromantische Straße" finden werden. Basst (scho)!

 

Thomas Lawall - Mai 2016

 

 

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