Literatur

Die Hexenverfolgung in Überlingen

von Johannes Dillinger


144 Seiten
© 2023 - Gmeiner-Verlag GmbH
www.gmeiner-verlag.de
ISBN 978-3-8392-0345-3



Anna Kellerins Mann erkrankte schwer. Ob es sich möglicherweise um einen Unfall handelte, lässt sich nicht mehr feststellen. Jedenfalls verarmte sie schnell, weil kein ausreichendes Einkommen mehr zur Verfügung stand. In ihrem "Geständnis" berichtete sie von mehreren Besuchen des Teufels, der sie für sexuelle Dienste mit Lebensmitteln entlohnte. Ein umgekippter Kochtopf mit Brühe verwandelte sich im Rahmen eines "Wetterzaubers" in einen Hagelsturm, welcher ein Verfahren gegen die Kellerin begründete.

In Überlingen vertrat man die Ansicht, dass die Hälfte der Weinernte deshalb vernichtet wurde. Am 31.08.1575 wurde sie noch vor der Ernte schuldig gesprochen und exekutiert. Dass die erwartete Missernte nicht eintraf, nutzte ihr nichts mehr.

Im alten Europa gehörte der Glaube an Geister zur allgemeinen Tagesordnung. Theologie und Recht verbündeten sich und begründeten die "Dämonologie" mit den in die Hölle "gefallenen Engeln", die sich einst von Gott abwandten. Das Böse bekam einen Namen: Satan. Nicht nur Theologen, sondern auch "Juristen" vertraten die Ansicht, Gefallene und Besessene zu finden, zu verurteilen und zu bestrafen. Bürger und Bauern verinnerlichten und verfestigten diese Vorstellungen, bis sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken waren:

"Die Menschen Alteuropas rechneten durchaus mit der Möglichkeit, dem Teufel auf der Landstraße zu begegnen."

Der Historiker Johannes Dillinger bezeichnet die Hexenprozesse als "größten Justizirrtum der Geschichte", legt aber gleich zu Beginn Wert auf eine Relativierung. Der katholischen Kirche die Schuld an den Hexenverfolgungen zu geben, zählt er "zu den schwer zu überwindenden historischen Irrtümern". Nicht die Inquisition, sondern die weltlichen Gerichte hätten den Großteil der Hexenprozesse geführt. So dürfe also

"die Bedeutung der Inquisition am Beginn der Verfolgungen nicht auf die folgenden Hexenjagden hochgerechnet werden".

Jene "weltlichen Gerichte" agierten allerdings überaus unterschiedlich und waren oft mit Personen besetzt, die alles andere als einen juristischen Hintergrund besaßen. "Kläger/innen" ebenfalls nicht, denn zumeist begründeten sich Anklagen auf Denunziationen, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder schlicht erfundene Phantasien von Privatpersonen. Auch mit Naturkatastrophen und mehr oder weniger ernsthaften Krankheiten wurden Beklagte in Verbindung gebracht.

Und wehe, sie verhielten sich in irgendeiner Weise auffällig. Einen Standpunkt, egal ob richtig oder falsch, lautstark oder gar aggressiv zu vertreten, konnte also durchaus ernste Folgen haben. Selbst wenn Tiere krank wurden, war eine Verdachtsperson schnell gefunden, und mit der entsprechenden Hexerei in Verbindung gebracht:

Hexen sollten auf magische Weise die Milch aus den Kühen ihrer Nachbarn in das eigene Vieh transferiert haben."

Oftmals gaben die Stadträte "dem Druck der Straße" nach, nicht zuletzt um den Frieden in der Stadt zu erhalten oder wieder herzustellen. Nur so lässt sich beispielsweise die Leidensgeschichte von Anna Streblinin erklären, die Ende Januar 1579 inhaftiert wurde. Die erdrückende "Beweislast" setzte sich aus Hexereigerüchten und "konkreten Indizien und Bezichtigungen durch andere Beklagte" zusammen.

Johannes Dillinger schildert die Thematik sachlich und ohne Wertung, gemäß den, im Anhang genannten, Quellen. Zahlreiche Abbildungen, meist zeitgenössischer Werke, begleiten den Text sinngemäß, aber ohne direkten Bezug. Auf Darstellung der damals üblichen Gewalt wurde weitgehend verzichtet. Im schriftlichen Teil zum größten Teil ebenfalls.

Es ist sogar von Begnadigungen die Rede, welche gar nicht so selten vorkamen. Entweder wurden angeklagte Frauen unter bestimmten Umständen auf "Urfehde" freigelassen, oder das Todesurteil wurde durch Enthauptung und anschließender Verbrennung des Leichnams "abgemildert". Einer Verbrennung bei lebendigem Leib bedarf es keinerlei weiterer Beschreibungen.

Neben der Einteilung in die Geschichte der Hexenprozesse, dem Verlauf derselben und einer allgemeinen Übersicht der Grundlagen springt der Autor ins 19. Jahrhundert, und weiß Erstaunliches zu berichten. Während die Kirchenleitung den Glauben an Hexen aufgegeben hatte, konnte "mancher Aberglaube unter dem Volk" längst nicht überwunden werden. So notierte ein Amtsträger des Erzbischofs von Freiburg 1853 nach einer "Visitation" der Glaubenspraxis in Überlingen:

"Jede Belehrung hierüber ist fruchtlos."

 

Thomas Lawall - Dezember 2023

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum