Die Heimsuchung des Hadschi Hotak
von Jamil Jan Kochai
286 Seiten © 2022 by Jamil Jan Kochai © 2025 Luchterhand Literaturverlag www.luchterhand-literaturverlag.de ISBN 978-3-630-87802-7
Natürlich weiß man vorab in etwa, bevor man sich für ein bestimmtes Buch entschieden hat, um was es sich inhaltlich handelt. Auch dass es sich um Erzählungen handelt, ist klar, und doch gibt es etwas, womit man, zumindest in der ersten, auf gar keinen Fall gerechnet hat.
Den Rahmen der Erzählung bildet "Metal Gear Solid V: The Phantom Pain", ein Computerspiel aus der Metal-Gear-Solid-Reihe. Das 2015 erschienene (und 1984 spielende) Spiel ist das erste dieser Reihe im Open-World-Design, was Jamil Jan Kochai nicht unerwähnt lässt.
Schauplätze der Handlung sind Afrika und Afghanistan, wobei sich hier der Kreis zu einem Zusammenhang schließt. Realität und Spiel gehen eine gewisse Verbindung ein. Schließlich gilt es, zwei Familienmitglieder aus Feindeshand zu befreien, um sie vor Folter und Tod zu bewahren.
In der zweiten Erzählung lernen wir Dr. Yusuf Ibrahimi kennen, welcher seit dem Tod seines Vaters kein "Salat" mehr gesprochen hat. Nicht nur an dieser Stelle erweist sich das Glossar am Ende des Buches als sehr hilfreich. Mit seiner Frau Amina arbeitet er in einem Kabuler Krankenhaus, stets in wechselnden Schichten.
"Ihre Leben schienen wie zwei alternierende Monde um das Krankenhaus zu kreisen."
Schlimmste Kriegsverletzungen und das damit unvorstellbare Leid sind kaum zu ertragen. Sie leben gezwungenermaßen nebeneinander her und der grauenhafte Alltag im Krankenhaus fordert seinen Tribut.
"Sie glichen müden Pilgern, die auf der Suche nach Land auf die See hinausgeschickt worden waren."
Nicht weniger intensiv als die erste Erzählung, steigert sich die zweite dennoch in eine furchtbare Eskalation, die sich schließlich als Stand der Dinge und dessen Folgen relativiert.
Obwohl es eigentlich längst genug ist, begegnen wir in "Genug" Rangeena, die es gerade mit einer Strafpredigt ihres Sohnes, einem "Unmenschen", zu tun hat. Jener Rangeena, die einst mit 15 Jahren die Ehe mit einem sechzigjährigen Nomaden eingehen musste.
Oder Miriam, die sich nach einem entstellenden Säureangriff ihres Mannes eine ganz besondere Art der Kommunikation ausdachte.
"Die Heimsuchung des Hadschi Hotak" in einfachen Worten zu beschreiben ist kaum möglich, schließlich schafft es der Autor nicht mal selbst, indem er seiner innigen Liebe zum Schachtelsatz freies Geleit gewährt, aber dennoch einen Versuch wert.
Migration, neue Heimat, Krieg, zerbrochenes Seelenleben, panische Flucht und Verfolgung in der Heimat sowie in der neuen, die unvermeidlichen Wechselwirkungen der Traditionen und der Gegenwart, aber auch so etwas wie Hoffnung, sind die Themen des Buches, sowie die unvermeidlichen Auswirkungen, die sich in diesem Fall und aus gutem Grund gelegentlich ins Phantastische dehnen.
Schließlich folgen einem die erlebten Traumata wohl bis ans Ende der Welt, was Jamil Jan Kochai mit einer Feder aus Intensität und Tempo, auch vor dem Hintergrund der Kriegserfahrungen in der eigenen Familie, immer wieder unterstreicht, sowie nicht davor zurückschreckt, das eine oder andere Rätsel aufzugeben.
Die unglaubliche Vielfalt an Metaphern, landestypischen Verweisen, zwischenmenschlichen Untiefen, sowie das vielleicht nur vordergründig überzogen wirkende phantastische Element entschlüsselt zu haben, würde der Rezensent niemals behaupten.
Das macht aber nichts, denn der Zweck des Buches ist ein anderer.
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