Literatur

Die Eiswolf-Saga - Teil 3
WOLFSBRÜDER

von Holger Weinbach


736 Seiten
© acabus Verlag, Hamburg 2018
www.acabus-verlag.de
ISBN 978-3-86282-008-5



Januar 2019. Es schneit und es wird kalt. Sehr kalt sogar. Etwa genau so, wie es uns die eiskalte Covergestaltung des dritten Teils der Eiswolf-Saga "Wolfsbrüder" vermittelt. Also genau die richtige Jahreszeit, um nun endlich mit dem Lesen zu beginnen. Mehr als acht Jahre sind seit dem Erscheinen des zweiten Bandes vergangen, weshalb sich für die treue Fangemeinde, trotz aller Liebe, die Frage aller Fragen ergibt: Wird der Einstieg nach so langer Zeit gelingen? Hat man im schlimmsten Fall die Handlung gar komplett vergessen ...?

Drogo, Sohn des Grafen Rurik, ist außer sich, dass Faolán entkommen konnte. Walram, Prior des Benediktinerklosters nahe Neustatt, versucht ihn zu besänftigen, indem er ihn daran erinnert, dass Faolán bei seiner Flucht von Nordmännern verschleppt wurde. Dies würde zweifellos das Schicksal seines Erzfeindes besiegeln, da man ihn mit Sicherheit als Sklaven verkaufen würde. Drago kann sich mit dieser Vermutung nicht so recht anfreunden, da ihm Gewissheit weitaus lieber wäre, besser noch Faoláns Tod durch seine eigene Hand.

Andererseits versucht Drago seine Mutter Wulfhild mit eben dieser Argumentation zu überzeugen, als ihr klar wird, dass ihr Neffe wahrscheinlich noch am Leben ist: Faolán, der niemand anderes ist als Rogar, Sohn des beim Angriff auf die Greifburg ermordeten Grafen Farold, dem Bruder ihres Mannes Graf Rurik. Sie sieht nunmehr den "Fortbestand ihrer Blutlinie" in Gefahr, sähe sie doch viel lieber ihren Sohn Drago als Nachfolger des Grafen. Vorschnelles Handeln jedoch ist ihre Sache nicht, weshalb sie den Tatendrang ihres Sohnes zunächst eindämmt. Ihr Wähnen richtet sich in Richtung größerer Ziele, und jene gilt es, nicht auf direktem Wege zu erreichen!

Indes ist Faolán, immer noch nicht wissend, wer er wirklich ist, geschweige denn welche Bestimmung in jenem Zusammenhang für ihn vorgesehen ist, auf dem Weg nach Norden. Ebenfalls von den Svear verschleppt, befindet sich der Vasall des Grafen, der ihm wohlgesonnene Ritter Brandolf, auf dem gleichen Schiff. Bleibt die bange Frage, ob sich seine geliebte Svea ebenfalls in Gefangenschaft auf einem der beiden weiteren Schiffe befindet. Doch dies ist bei weitem nicht die einzige Frage, die sich ergibt ...
Ganz erstaunlich, wie es sich anfühlt, sich nach so langer Zeit wieder auf die Eiswolf-Saga einzulassen. Doch wie soll das gehen? Tausend Geschichten und Bilder im Kopf, und knapp 480 Bücher später soll der Rezensent den Faden wieder aufnehmen? Eine Zumutung eigentlich und für jeden Serienfan ganz allgemein eine Herausforderung. Doch schon nach den ersten Zeilen geschieht ein Wunder: Es ist wie damals, als 2009 und 2010 die ersten beiden Teile der legendären Reihe erschienen sind. Geändert hat sich, auch und vor allem was die Stimmung betrifft, gar nichts - denn es ist die gleiche! Wie Holger Weinbach dies geschafft haben mag, dürfte an Zauberei grenzen.

Wie auch immer, man wird sofort in jene dunklen Tage regelrecht zurückkatapultiert, die mit dem ersten Band "Brudermord" in den Jahren 949-963, im zweiten Band "Irrwege" 960 bzw. 963-966 spielten und sich nunmehr auf die Jahre 966-967 konzentrieren. Erstaunlich ebenfalls, dass die behandelten Zeitabschnitte immer geringer wurden, der Umfang der Bücher sich aber in diametral entgegengesetzte Richtung entwickelte.
Man wird also bereits rein optisch erschlagen. Doch damit nicht genug, denn nach dem Inhaltsverzeichnis erwartet uns nunmehr ein fünfseitiges Personenregister! All das mag eine potentielle Leserschaft abschrecken, doch man sollte nicht dem fatalen Irrtum verfallen, sich zu fragen, ob dies alles noch zu schaffen ist.

Vielmehr findet man in diesem grandiosen Intrigenspiel um Einfluss und Macht den Einstieg bereits in den ersten Zeilen wieder und alle Vorbehalte sind vollständig vergessen. Allerspätestens wenn Faolán aufwacht und sich langsam die Erkenntnis heranschleicht, wo und in welch aussichtsloser Lage er sich befindet, ist sie wieder da: Die Faszination einer monumentalen Geschichte, die in der Lage ist, die Befindlichkeiten ihrer Leserschaft vollkommen zu vereinnahmen.

Wie man sich die Geschichte vorstellen kann? Vielleicht in etwa wie ein Schachspiel in ungewohnter Dimension. Auf einem gigantischen Spielfeld bewegen sich Figuren, markant gestaltet und charakterisiert, egal ob Bauer, Knappe, Edelmann oder König. Die Spielzüge sind das Zentrum der Geschichte, denn sie gehorchen nicht dem Diktat und den Ideen von nur zwei Spielern, denn es sind ungleich mehr. Teils handeln die Figuren aus eigenem Ermessen und teils werden sie von den unterschiedlichsten "Spielern" bewegt und geführt. Oft ohne Wissen der jeweils anderen und hier wird die Sache kompliziert. Die Übersicht verliert man aber nie, und genau deshalb kann sich Spannung ungezügelt mit sich selbst multiplizieren!

Der Autor schreibt und beschreibt Szenarien, dank umfangreicher Recherchen, überzeugend authentisch, Stimmungen und persönliche Befindlichkeiten kann man tatsächlich körperlich spüren, ebenso wie Landschaften oder Witterung. Selbst winzige Details wie die Wirkung der Augen eines ausgestopften Bärenkopfes oder die dann wieder ausführlicher gestalteten Ausführungen zum Ritual der mittelalterlichen Schwertleite, gewinnen dank Weinbachs ebenso eindringlicher wie ermüdungsfreier Erzählkunst faszinierende Dimensionen.

Auch einige, gottlob kurze, Ausflüge in den Fantasy-Bereich, die Sveas aufkeimende Fähigkeiten skizzieren, gehören zu den Höhepunkten, wenn man einmal davon absieht, dass im Prinzip das ganze Buch ein solcher ist! Breit gefächert sind auch die geschichtlichen Hintergründe, die sich zum großen Teil auf das Ostfrankenreich konzentrieren. Die Zeit der Ottonen, unter besonderer Berücksichtigung des dritten Feldzuges Kaiser Ottos des I. nach Rom im Jahr 966, aber auch die Ereignisse in der ehemaligen Wikinger-Siedlung Birka auf der schwedischen Insel Björkö, unter der Regentschaft Erik Segersälls, lassen Bilder längst vergangener Epochen wieder aufleben.

Selbst der Humor bleibt nicht auf der Strecke. Reisen in den Norden haben ernste Konsequenzen, denn dort oben "bauen sie keinen Wein an". Auch das Toilettenproblem auf Langschiffen findet aufklärende Erwähnung. Weinbachs Personen und Schauplätze wirken so real, so greifbar, fast so, als wäre die gesamte Geschichte begehbar. Apropos laufen, hier gibt es Kritik, auf höchstem Niveau selbstverständlich, denn die Überquerung der Alpen durch Drogos und Konrads Nachhut für die Truppen Kaiser Ottos, die in Richtung Rom marschieren, kann man nicht in wenigen Sätzen abhandeln. Bei genauerer Ansicht lassen sich mehrere solcher Abschnitte entdecken, insofern kann das nächste Buch also sehr gerne noch etwas an Umfang zunehmen! Bitte, danke.

Alltag? Wo ist er geblieben? Holger Weinbachs Bilderflut steht über allem und lässt einen selbst in Lesepausen nicht mehr los. Und so wird es auch sein, wenn das Buch endgültig geschlossen wird und sich im Regal zu den anderen gesellt. Völlig egal, wann und ob es einen weiteren Teil geben wird. Ein eisiger Nordwind flüstert längst die ersten Ahnungen möglicher Wahrscheinlichkeiten ...
Schön, dass offen bleibende Fragen die frommen Wünsche unterstreichen. Wann und wie wird Faolán Klarheit über seine Herkunft erlangen? Können die Mönche Ering und Thomas, in Bremen angekommen, ihre Suche nach ihm fortsetzen? Wird der unglückselige Konrad, inzwischen Ritter und Anführer von Brandolfs Tross, nach den grauenhaften Abscheulichkeiten in Rom jemals wieder Frieden finden können? Und vor allem: Wann wird Drogo dereinst eine ebenso langsame wie furchtbare Rache erfahren? Immerhin wissen wir nun, weshalb die 2012 angekündigte Fortsetzung nicht "Wolfsnacht" heißt, sondern "Wolfsbrüder" und noch so einiges mehr. Zum Glück jedoch nicht alles ...

Die Eiswolf-Saga - mögen alle Geschichten enden, aber diese bitte nicht!

 

Thomas Lawall - Januar 2019

 

 

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