Literatur

Die Bewunderung der Welt

von Folke Tegetthoff


156 Seiten
© 2009
HAYMON Verlag, Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
www.tegetthoff.at
ISBN: 978-3-85218-597-2



Kommt, ich habe hier ein Buch für euch, das ich - ohne Zauber, ohne Tricks - allein durch die Kraft der Geschichte verwandeln werde. So wird es euch gelingen, dem Alltag, dem Blick der Gewohnheit, dem Selbstverständlichen zu entfliehen und damit eine wahre Wunderwelt zu erfahren ...

Mit diesen Worten, dem jeweiligen Thema angepasst, leitet Leon Dorin, der Zauberer, der eigentlich gar kein richtiger Zauberer ist, seine siebzehn Vorstellungen ein, die er in jenem Dorf gibt, in welches sich Reisende eher selten verirren. Argwohn erwartet ihn in diesem Tal, denn aus welchen unerfindlichen Gründen sollte wohl einer von draußen die große Welt verlassen wollen und was, um alles in der Welt, sollte er hier zu suchen haben?

Der "Hirtensim" hat wohl völlig vergessen, der Dorfgemeinschaft anzukündigen, sein Erbe künftig vermieten zu wollen. Ein Grund mehr, sich daran zu erinnern, dass er ja schon immer etwas seltsam war. Schnell wird den Dörflern aber klar, dass hier nichts mehr zu machen ist - spätestens als der Koffer des Herrn Dorin "im Haus wie die Fahne auf erobertem Land" steht. Außerdem ist er ja ein bekannter Mann, wie der Hirtensimmerl stolz verkündet, und man würde ihn ganz sicher aus dem Fernsehen kennen. Dabei sieht man hier gar nicht richtig fern und eigentlich nur deswegen, um die Stille zu überbrücken oder um die aufkeimende Erkenntnis, dass man sich nichts mehr zu sagen hat, im Keim zu ersticken.

Nach Tagen der Aufregung beginnt im Dorfleben die Normalität, aber den Fremden lässt man nicht aus den Augen. Doch letztendlich würde nichts mehr so sein wie es vorher war. Die Dinge beginnen ganz langsam, sich zu verändern. Man tut zaghaft und fast nebenbei Dinge wie z.B. über sich selbst und die Welt nachdenken - auch wenn am Anfang nur eine simple Überlegung steht, weshalb man wohl zum Vergnügen einen Spaziergang machen könnte? Vergnügen besteht doch aus Saufen und Witzeerzählen!
Auf der anderen Seite geht man zur Kirche, auf den Acker oder zur Tierfütterung - aber doch nicht zum Vergnügen! Die Mernschen ändern sich unentwegt und einige haben bald eine leise Ahnung von dem Irrtum ihrer ersten Einschätzung. Der Zauberer würde ihnen nicht die große, weite Welt bringen, sondern ihre eigene! Die Menschen lernen aus ihren eigenen Türen herauszutreten, um sich selbst einmal von außen anzuschauen ...

Auch mir als Leser ist dies widerfahren, denn der "Zauberer" sprengt eingefahrene (Lese-)Gewohnheiten. Er "verzaubert" in seinen 17 Vorstellungen nacheinander das Leben, das Schicksal, die Mauern, die Musik, die Stille, das Gespräch, den Fernseher, die Maschine, den Chip, das Glück, die Liebe, die Wärme, die Wiese, den Baum, das Flugzeug, das Dorf und schließlich den Abschied. Doch er ist ja gar kein richtiger Zauberer, wie er eindringlich beschwört, "denn die wahre Illusion besteht darin, in allem, was uns umgibt, den Zauber, das Wunder zu entdecken, das ihm innewohnt - egal ob es ein Mensch oder ein scheinbar lebloses Ding ist".

Er erzählt von den Mauern eines Hauses wie von lebendigen Wesen, denn schließlich haben sie viel vom Leben gespeichert. Verstehen könnten wir es nicht und doch wäre es real. Er bewundert die "wahre Zauberkunst", die, anders als beim Theater oder im Konzert, die in Sprache und Noten "gefangen" sind, niemals weiß, was auf der Bühne geschehen wird, denn nicht er wäre es, der Dinge erscheinen und zum Leben erwecken würde, sondern es wären die Dinge selbst, "die Sehnsucht nach dem Hier und Jetzt, nach dem Leben haben". Eine Symphonie definiert er als Blick in die Zukunft, als großes Wunder und als Spiegelbild eines vollkommenen Zusammenklanges. Und in dieses Wunder bezieht er den Zuhörer mit ein, denn dadurch würde die Symphonie lebendig. Hörte sie niemand, wäre sie ohne Sinn. Leon Dorin spricht vom Wunder der Verschiedenheit der Menschen, und er zerlegt Dinge in ihre Bestandteile, um deren Einzigartigkeit zu beschreiben.

Und er wagt eine ganzheitliche, allumfassende Sicht des Göttlichen: "Gott ist Rap. Und Gott ist Mozart. Gott ist schwul. Er ist die materialisierte Liebe zwischen Mann und Frau. Gott ist Bhagwan und ist Muslim, Christ, Jude, Buddist. Gott ist ein Regenwurm. Und er war Tschernobyl." Er ist sich auch sicher, dass Gott weder 1938 noch am 11. September geschlafen hat. Der Zauberer lehrt uns auch das Wunder der Maschinen. Nicht nur ihre jeweilige Funktion ist das Wunderbare, sondern das, was wir bei genauerer Betrachtung an ihnen entdecken können. Kann eine simple Kaffeemaschine nicht beispielsweise Erinnerungen "herzaubern" - beispielsweise an einen Italienurlaub ...?!

Immer weiter wird der Bogen gespannt - bis hin zu Millionen von Microchips, die uns alle auf besondere Art und Weise verbinden. Sind es nun die, die sie herstellen oder die, die sie benutzen. Doch auch Schweigen bewirkt Wunder. Es kann Unsichtbares sichtbar machen und wahre Bilderfluten erzeugen. Und er erzählt eine Geschichte von Gott, welcher dereinst durch einen ziemlich lauten Knall geweckt wurde ...

Folke Tegetthoff, Erzähler, Dichter, Vortragender, Festivalgründer und -organisator, legt mit seiner "Bewunderung" ein Werk vor, das uns allen zu denken geben sollte. Er möchte uns abgewöhnen, den Augenblick als selbstverständlich zu degradieren. Für den Gründer des Festivals der erzählenden Künste "fabelhaft! Niederösterreich" sind Märchen „keine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern Sehnsucht nach der Wirklichkeit”. Diese scheinbar widersprüchliche, weil ungewohnte Perspektive öffnet uns ganz neue Horizonte und schützt uns, wenn wir uns "im Gemälde des Alltags" verlaufen haben. Da, wo nur noch fertige Dinge zählen, erinnert er uns an "die unendlich vielen kleinen Pinselstriche, die das Bild erst zur Wirklichkeit haben werden lassen". Seine "Verzauberung" wirkt nachhaltig und sie könnte die Welt verändern ...

... wenn diese jenem Zauberer ein wenig genauer zuhören und sich dem tatsächlichen Wunder allen Seins einmal bewusst werden würde. Alles steht mit allem und jedem in irgendeinem wunderbaren Zusammenhang. Wo ist eigentlich unser Problem ...?

 

Thomas Lawall - August 2010

 

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