Literatur

Der letzte Aufguss

von Carsten Sebastian Henn


320 Seiten
© 2012 Piper Verlag GmbH, München
www.piper.de
ISBN 978-3-492-30401-6



Professor Adalbert Bietigheim hat sich seinen ersten Arbeitstag etwas anders vorgestellt. Zwar wurde sein Namensschild bereits am Eingang des Instituts angebracht, aber einen seiner Doktortitel hatte man wohl vergessen. Ein entsprechendes Donnerwetter würde also nicht ausbleiben.

Die nächste Überraschung liefert die Sekretärin des Instituts, welche man ihm im Vorfeld als überaus herzliche Person beschrieben hatte. Asha Ghalib scheint ihren neuen Chef völlig zu ignorieren. Sie reagiert weder auf eine Ansprache noch auf den angebotenen Handschlag.

Des Rätsels Lösung ist ein Zeitungsartikel, den er in seinem Büro auf dem Schreibtisch findet. Er selbst ist das Thema im Leitartikel des Daily Telegraph. In respektloser Art und Weise soll er sich über seine beiden Vorgänger geäußert haben. Nun ist der unfreundliche Empfang zu verstehen und er wird von seiner Sekretärin insofern gekrönt, als sie sein Büro betritt, ohne angeklopft zu haben. Das Schlimmste jedoch ist die ohne ein Wort servierte Tasse Tee. Mit einem gewöhnlichen Teebeutel. Ein Skandal!

Seine Gastprofessur am Institut für Kulinaristik in Cambridge scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Seine beiden Vorgänger starben keines natürlichen Todes. Beide fand man jeweils in einem mit feinstem White Darjeeling gefüllten Stechkahn. In einem Fall konnte ein Schädelbruch als Todesursache ermittelt werden, während im anderen Fall die Umstände nicht herausgefunden werden konnten. Eines jedoch fällt dem Professor auf einem Foto in den Cambridge Evening News sofort auf: Der Tee "war miserabel aufgebrüht"!

Zu Beginn war ich mehr als unsicher, ob ich mit einem "kulinarischen Krimi" etwas anfangen könnte, zumal das ganze kulinarische Gedöns schon immer an mir vorbeigerauscht ist. Dennoch siegte die Neugier, zumal mich eine ganz hervorragende (grüne) Teemischung unlängst aus den ausgetretenen Pfaden meiner diesbezüglichen Vorurteile regelrecht hinauskatapultiert hat.

Zudem geht Carsten Sebastian Henn die Angelegenheit mit einer gepflegten Portion Humor an. In Sachen Tee gibt es die eine oder andere Nachhilfestunde, wobei der Laie ein ums andere Mal ins Staunen gerät. Dass man schwarzen Tee mit kochendem Wasser überbrüht, grünen jedoch keinesfalls, hat der eine oder andere vielleicht schon einmal gehört. Dass aber auch der Härtegrad des Wassers sowie die mineralische Zusammensetzung eine Rolle spielt, eher weniger.

Weitaus ernster und wissenschaftlicher wird es, wenn es um das "Zubehör" geht, beispielsweise um Kekse. Da wird schon einmal eine "revolutionäre Arbeit über die Krümeligkeit von Teegebäck" zitiert, eine "gefeierte Gulaschkanonentheorie", "Die Verarbeitung von Schweinefüßen im interkulturellen Vergleich" oder ein Buch über Minzsauce "unter besonderer Hervorhebung des Zitronensaftes als Ingredienz". Ob man das für bare Münze nehmen oder als ironische Seitenhiebe auffassen soll, bleibt nicht immer klar erkennbar. Als Außenstehender benötigt man sowieso schon eine ganze Menge Phantasie, um sich vorstellen zu können, was sich in einem Institut für Kulinaristik wohl den lieben langen Tag abspielen mag.

Der Autor lehrt uns auch andere Dinge. Alle Toten sind "gleich tot", beispielsweise. Doch es gibt einige mit dem "gewissen Etwas". Das gewisse Etwas haben auch seine Figuren. Dem hochgebildeten Professor Dr. Dr. Bietigheim stellt er als besten Freund den völlig anders veranlagten Pit Kossitzke, seines Zeichens Taxifahrer und Helfer in der Not, gegenüber. Ebenfalls ein Brüller ist Gerichtsmediziner Cumberland, dem als Hobbyschauspieler die Rollen von Geisteskranken und Serienkillern auf den Leib geschrieben sind ...

Kurzum: "Der letzte Aufguss" ist ein intelligenter Krimi und ein großer Spaß!

 

Thomas Lawall - Juli 2014

 

 

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