Literatur

DER BESCHWIPSTE AMOR

von Trudi Pätz


100 Seiten
1. Auflage September 2005
HolzheimerVerlag, Hamburg
www.holzheimerverlag.de
ISBN 3-938297-21-2


Im Alter von 80 Jahren ein Studium der Belletristik zu beenden, ist nicht gerade alltäglich. Dieses Büchlein ebenfalls. "Weihnachtsgeschichten einmal anders" werden dem Leser versprochen, und dieses Versprechen wird gehalten.

Auf den ersten Blick sind die Erzählungen allerdings spektakulär unspektakulär. Die meisten Geschichten sind sehr kurz, und sie haben keinen Anfang und kein Ende im herkömmlichen Sinne. Sie sind sozusagen mitten aus dem Leben herausgegriffen!
Vorteil: Trudi Pätz belästigt uns nicht mit gigantischen Verbal-Opern, sondern sie beleuchtet Bruchstücke einer Vergangenheit und einem Leben, das alles andere als rosig war.
Nachteil: Letztlich kann nur ihre eigene Generation wirklich ermessen, was es z.B. bedeutete, in den Kriegsjahren Weihnachten zu "feiern". Jüngere Generationen müssen sich auf die Texte bedingungslos einlassen, sonst wird ihnen der Zugang in diese düsteren Tage verwehrt bleiben.

Der Glanz und die Besinnlichkeit sind sicher zum großen Teil verloren gegangen. Aber ich unterstelle, dass sich trotz allem niemand ernsthaft wünscht, diese Zeiten mögen sich noch einmal wiederholen, denn die sog. "gute alte Zeit" hat es doch nie wirklich gegeben, oder?

Das Buch beginnt mit der Titelgeschichte und kommt damit gleich mächtig in Fahrt. Amor bekam von Petrus einen Auftrag, den er gründlich vermasselt. Pfeil und Bogen sollte er eigentlich zu Hause lassen und den Met hat er ebenfalls heimlich mitgenommen. Kein Wunder also, dass die Sache schief läuft ...
Leider ist die Geschichte auf Seite 12 schon zu Ende. TRUDI PÄTZ verrät uns nicht, wie es weitergeht. Wird Amor wieder im Himmel aufgenommen und was passiert mit dem ungewöhnlichen Liebespaar Anna und Ortwin?
Manuela und ihre kleine Schwester Ilse erleben einen Theaterbesuch ("Was Manuela in der Weihnachtszeit erlebte"), Christiane, Sandra und der kleine Tobias verbringen "Weihnachten bei Oma Henriette" (drollig: Tobias schlug mit einer selbstgebastelten Kirche aus Holz auf eine Nuss, um sie zu knacken ...) und Rentner "Jürgen Drews" repariert eine feuchte Wand hinter einem Schrank. Dann fällt er todmüde ins Bett. Auch bei dieser und vielen anderen Geschichten fragt man sich am Schluss: Ja, wie jetzt? War's das schon? Wie geht es weiter?

Die zeitgeschichtlichen Miniaturen sind oft nicht mehr als winzige Teile eines Puzzles, welches sich als Ganzes allenfalls erahnen lässt. Das Buch wirkt wie eine Zusammenstellung wahllos herausgegriffener Ausschnitte eines Tagebuches. Man wünscht sich einen größeren Zusammenhang - einen roten Faden. Dieser ist aber immerhin angedeutet, weil sich halt irgendwie alles an und um Weihnachten zugetragen hat. Doch spätestens hier sind wir wieder beim oben zitierten "Zugang". Wer versucht, diese Geschichten zu analysieren, wird scheitern und vor verschlossenen Türen stehen. Was wir lesen, ist nichts anderes als gelebtes Leben und ein kleines Stück reanimierter Vergangenheit. Und wer die Türen öffnen kann, wird tatsächlich den Hauch einer "Stimmung" erahnen, die es heute nicht mehr gibt, aber durch dieses Buch am Leben erhalten wird! Schon deshalb sollte es unter keinem Weihnachtsbaum fehlen ...

Gerne hätte ich auch mehr über die Geschichte von "Jan Hinrichsen" erfahren. "Der Obdachlose" erlitt einen schweren Unfall auf einer Baustelle. Eine Palette Mauersteine zerquetschte ihm den linken Unterschenkel. Nach einem Jahr Krankenhausaufenthalt kommt er nach Hause und muss entdecken, dass sein Platz inzwischen von einem anderen Herrn eingenommen wurde! Schließlich landete er auf der Straße. Prompt lernte er aber (was für Obdachlose ja absolut "üblich" ist) eine "alleinstehende Geschäftsfrau" kennen. Auf gut drei weiteren Seiten entwickelt sich eine Beziehung, Freundschaft und dann sogar eine Ehe! Also, dies wäre im Prinzip eine grandiose Romanvorlage, aber derart "zusammenkürzt" wirkt die Story schon fast unglaubwürdig. Das geht einfach zu schnell. Bitte (auch hier) eine Fortsetzung!

Herzig kommen dann so Geschichten wie "Der ganz richtige Weihnachtsmann". Hier stimmt das Timing und am Ende gibt es immerhin eine Pointe. Nicht ganz drei Seiten, und dennoch läuft die Story einfach rund! Ebenso "Am Heiligen Abend 1946". Hier kann man ermessen, was es kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges bedeutet haben muss, (überraschend) einen Gänsebraten serviert zu bekommen ...

Was eher heiter und beschwingt begonnen hat, wird auf den letzten Seiten nachdenklich, traurig, ja dramatisch! "Doktor Mattes' vergeudetes Leben" lässt uns in einen dunklen Keller fallen. Den Wünschen eines übermächtigen Vaters zu folgen, hat schon vielen Menschen die eigene Identität gekostet. Ratlos bleiben wir zurück, da hilft selbst das "verklärte Lächeln" nichts ...
Mit "Wie ich von der wahren Geschichte des Tjark Evers erfuhr" gibt uns die Autorin eine Einleitung für die letzte Geschichte in ihrem ersten Buch. "Eine Tragödie im Watt" erzählt die tragischen Ereignisse, die am 22.12.1866 zum Tod des jungen Baltrumer Tjark Evers führten. Diese Geschichte passt nicht unbedingt an den Schluss, aber das Büchlein erfüllt damit letztlich den eigenen Anspruch, Weihnachtsgeschichten einmal anders zu präsentieren.

Fazit: Wehmütig unterhaltsamer Rückblick in 140 Jahre (Weihnachts-)Geschichte. Besonders interessant für die Generation, die sich noch erinnern, und diese Sammlung von Erzählungen im Schatz der eigenen Lebenserfahrungen zuordnen kann.

 

Thomas Lawall - November 2006

 

 

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