Literatur

Der Neuschwanstein Code

von Arno Loeb


400 Seiten
@opyright by Autor 2012
Unsichtbar Verlag, Diedorf
www.unsichtbar-verlag.de
ISBN 978-3-942920-09-4



Bill Loomis stirbt einen entsetzlichen Tod. Ein letzter Blick gilt Lohengrin, dem Gemälde links oberhalb der Laube im Sängersaal zu Schloss Neuschwanstein. Sein größter Traum, einmal den kühnen Schwanenritter zu singen, ist endgültig ausgeträumt. Der Speer dringt unterhalb des linken Schlüsselbeines ein und findet in seinem Herzen keinen Widerstand.

Noch einmal überfliegt er die bühnenartig gestaltete Laube mit der Darstellung des heiligen Waldes um die Gralsburg Parzivals, nachdem er mit letzter Kraft einen Blick über die Schulter riskiert, nur um festzustellen, dass er seinen Mörder kennt. Dieser aber kennt eines nicht: Erbarmen. Hasserfüllt erfreut er sich am Tod des Sängers, der eine nicht unbedeutende Rolle in einem nicht unbedeutenden Musical spielt. In seiner unbändigen Wut packt er den Speer und bohrt ihn durch die Brust des toten Sängers ins Parkett.

Doch seine Freude währt nicht lange, denn offenbar steht sein eigenes Leben ebenfalls auf der Kippe. Völlig unerwartet nähert sich eine in schwarz gekleidete Gestalt, die ihre Identität unter einer Kapuze verbirgt. Der völlig überraschte Mörder findet nun seinen Meister und stirbt, ohne zu wissen, wem die Hände gehören, die sich gnadenlos um seinen Hals legen und ihm jede weitere Sauerstoffaufnahme verwehren.

Wally Windheim übernimmt immer die erste und die letzte Führung durch das Märchenschloss. Ob König Ludwig II. je ahnte, dass dereinst täglich mehr als 5000 Menschen durch seine geliebten Hallen marschieren würden? Für derlei Erwägungen hat Wally wenig Zeit, da sie zwischen ihren Schichten auch noch im Tourismus-Büro arbeitet. Nichts deutet darauf hin, dass ihr neuer Arbeitstag anders verlaufen würde als alle anderen zuvor.

Das ändert sich gründlich, als sie mit der ersten Gruppe, zum größten Teil aus Japanern bestehend (Amerikaner schlafen und frühstücken länger), den Sängersaal betritt. Sie merkt sofort, dass etwas nicht stimmt, und zwar noch bevor sie die beiden am Boden liegenden Gestalten wahrnimmt. Groteskerweise sieht einer wie König Ludwig II. persönlich aus! Im ersten Moment glaubt sie an lebensgroße Puppen in Verbindung mit Dreharbeiten zu einem Film und nutzt diese Gedanken, um die Touristengruppe abzulenken und nicht zuletzt um eine Panik zu vermeiden. Es würde sich um geheime Proben für ein König-Ludwig-Musical handeln, erfindet sie spontan, in welche sie nun hineingeplatzt wären. Schnell lenkt sie die Gruppe in Ankündigung einer weiteren Attraktion ab und führt sie elegant aus dem Sängersaal ...

Arno Loeb legt mit seiner ebenso trockenen wie unspektakulären Art sich auszudrücken, ein Täuschungsmanöver ersten Ranges vor. Die zunächst recht geradlinig verlaufende Story wird immer wieder durch völlig unerwartete Showeinlagen unterbrochen. Beispielsweise schildert er eine Fahrt von Wally Windheim, die sich bereit erklärt hat, die Tochter des Hausmeisters von Schloss Neuschwanstein zur Entbindung ins Füssener Krankenhaus zu fahren, als durchaus chaotischen Wettlauf mit der Zeit, der durch diverse Pannen zusätzlich an Dramatik gewinnt. Skurril wird es allerdings, als ein freundlicher Pannenhelfer in nicht alltäglichem Outfit und ebensolchem Fahrzeug seine Hilfe anbietet. So ein Gespann hat man in der Notaufnahme nicht unbedingt erwartet ...

Auch die weitere Entwicklung der Story bietet einiges an Überraschungen und aus dem vermeintlichen Doppelmord entwickelt sich eine Geschichte mit ungeahnter Tragweite.
Geschickt streut der Autor so ganz nebenbei immer mysteriösere Fakten ein, welche die Story auf gleichbleibendem Niveau vorantreiben. Da ist beispielweise Joe der Kutscher, welcher behauptet, das echte Tagebuch von König Ludwig II. zu besitzen oder jener ominöse Sushi-Imbiss, der von Taka, seiner Schwester Yui und deren Vater betrieben wird. Eigentlich sind sie weniger wegen des Imbisses als wegen einer nicht unwichtigen Familienangelegenheit in die Gegend gezogen. Urgroßvater Shimasuki, Angehöriger einer berühmten japanischen Samurai-Schule, soll König Ludwig II. persönlich gekannt und mehrmals besucht haben. Eigentlich sucht man ein Samurai-Schwert, welches aber leider von Richard Wagner (aus ziemlich guten Gründen) von der Marienbrücke in die Schlucht geworfen wurde ...

Leider stürzt meine anfängliche Begeisterung im Laufe der weiteren Entwicklung des Plots in ganz ähnliche Tiefen. Ärgerlich wird es, wenn einerseits geschichtliche Fakten bis ins Detail stimmen, dann aber mit den fiktiven Elementen des Romans kollidieren. Eine öffentlich begehbare Wagner-Gruft (extra für die Festspiele fein herausgeputzt) gibt es meines Wissens nicht. Auch die sprachliche Umsetzung lässt (auf Dauer) schnell Wünsche offen. Umständliche, fast kindlich naive Dialoge, gefolgt von holprigen Passagen, die sich teilweise auch noch wiederholen, lassen die geniale Grundidee leider verblassen.

Etwas mehr Humor, wie eingangs beschrieben oder an der Stelle am Alpsee mit dem "zusammengetretenen Borkenkäfer", oder mehr Metaphern wie "Frauenaugen huschten an ihr vorbei. Wie kleine Fische zwischen Korallen" oder Nietzsches Gedanken (in einem Glashaus im Exotischen Garten von Éze sitzend), "... blasphemische Gedanken, die er gerne in Steine verzaubert hätte, um sie aus dem Glashaus zu werfen. Jeder Gedanke eine gefährliche Idee" hätten dem Roman zu mehr Höhepunkten verholfen.

Doch letztlich wirkt "Der Neuschwanstein Code" wie aus Bruchstücken zusammengeschraubt,  unausgereift, leider auch fehlerhaft, und insgesamt irgendwie unfertig. Als erster Entwurf sicherlich vielversprechend, hätte ein Ausbau der Lektüre in Verbindung mit einer gründlichen Überarbeitung mehr als eine Bereicherung bedeutet. Zeit, den profillosen Charakteren Leben einzuhauchen wäre ebenfalls vonnöten gewesen. Am Ende bleibt nur ein echtes Bedauern zurück, denn aus diesem Gesamtpaket an Ideen hätte man weitaus mehr machen können.

 

Thomas Lawall - November 2012

 

 

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