Der Mensch und das Meer Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist
von Callum Roberts
588 Seiten Copyright © 2012 by Callum Roberts Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München www.dva.de ISBN 978-3-421-04496-9
Es gibt Schätzungen, die besagen, "dass Fischernetze jedes Jahr eine Fläche des Meeresbodens abgrasen, die der Hälfte aller Kontinentalsockel der Erde entspricht." Die primitiven Angelmethoden der Vergangenheit sind längst durch riesige Netze oder Langleinen ersetzt worden. Letztere können mehr als 100km lang sein. Die zahllosen, an der Hauptleine befestigten Nebenleinen, richten mit tausenden von Haken enorme Schäden an, weil zahlreiche Fischarten als unbeabsichtigter Beifang getötet werden, und sogar Seevögel in größerer Zahl dieser Fangmethode zum Opfer fallen.
Die Fangmengen gehen im Gegenzug dazu dramatisch zurück, was ein Blick in frühere Jahrhunderte belegt. Eine ausgeklügelte Elektronik zum Aufspüren verschiedener Fischbestände war nicht notwendig. Es gab sie im Überfluss. Kaum zu glauben, dass beispielsweise 1870 in New Jersey Menhaden und Alosas an Bächen und Teichen in großen Mengen einfach mit der Heugabel gefangen wurden oder an der Küste einfach aufgesammelt werden konnten. Nach einem Bericht von 1819 konnten die Frauen und Kinder, die mit Körben während der Kapelansaison am Strand der Conception Bay in Neufundland warteten, nach jeder Welle ihre Körbe und Fuhrwerke füllen.
Immer ausgefallener wurden die Fangmethoden, immer weiter müssen die Fischer hinausfahren und immer tiefer müssen sie nach den Fischbeständen suchen. Zwei Drittel der seit den 50er Jahren gefischten Arten erlebten nach Zahlen der UN-Welternährungsorganisation FAO einen "Zusammenbruch". Um "75 bis 95 Prozent" sind die Bestände der wichtigen kommerziellen Fischarten auf dem Planeten zurückgegangen.
Doch nicht nur die Überfischung ist ein Problem, denn eine ganze Reihe anderer Faktoren wie Abwasser, Chemikalien, Öl, sowie Lärm und "biologische" Verschmutzung summieren sich in beängstigender Art und Weise. "Die Kraft, mit der die Menschheit am Klimasystem schiebt, baut sich schon seit über einem Jahrhundert auf, und heute werden die Folgen allmählich sichtbar." Klimawandel hat es auf der Erde immer gegeben, doch sie fanden in völlig anderen zeitlichen Dimensionen statt. Innerhalb kürzester Zeit schaffte es die Menschheit, die Treibhausgaskonzentration weit über die historisch belegten Werte zu treiben. Die Verhältnisse ändern sich weitaus schneller, als die Ökosysteme reagieren können ...
Callum Roberts ist in großer Sorge. Und er steckt Leserinnen und Leser damit an. Doch der erhobene Zeigefinger des Meeresbiologen weist in den Kapiteln "Ein New Deal für die Meere" und "Das Leben sanieren" (und in den beiden darauf folgenden Kapiteln) auch sehr ausführlich auf Auswege der sich anbahnenden Krise hin. Noch haben wir es in der Hand, eine der größten je von Menschen verursachten Umweltkatastrophen zu verhindern. Doch die Zeit drängt und Hoffnung macht sich breit, dass es noch nicht zu spät sein könnte.
Der Autor holt sehr weit aus, indem er uns in eine 4,5 Milliarden Jahre zurückliegende Zeit führt. Er beginnt seine Reise bei der Entstehung der Erde und schildert allgemeinverständlich die verschiedenen Entwicklungsphasen auf dem Planeten. Die ungeheuren Veränderungen und die gewaltigen Zeiträume sind fast nicht zu erfassen und doch vermittelt der Autor dem faszinierten Leser eine Ahnung davon, wie es wann auf unserem Heimatplaneten ausgesehen hat, und wie sich die Weltmeere und schließlich das Leben entwickelt haben.
In der Gegenwart angekommen, beschreibt der Wissenschaftler nicht nur die Aspekte der langsamen Vernichtung der Meere, sondern er findet hin und wieder auch die Zeit, seiner Faszination Ausdruck zu verleihen. Als eines der großartigsten Erlebnisse beschreibt er, fast in lyrischer Form, einen Tauchgang über einem Korallenriff. Eine Welt von Farben tut sich auf, wie in einem Gemälde von Monet, "in dem jeder einzelne Pinselstrich lebendig geworden ist und über die Leinwand schwimmt". An anderen Stellen lauscht er dem Gesang der Buckelwale, "so schön wie jede Arie von Verdi", oder berichtet tief beeindruckt von der "Magie der großen Tiere".
Vielleicht ist "Der Mensch und das Meer" momentan eines der wichtigsten oder sogar das wichtigste Buch überhaupt. In jedem Fall ist es aber viel mehr als ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt des größten Lebensraums auf der Erde. Die Lage ist ernst aber keinesfalls hoffnungslos. Bleibt zu hoffen, dass es die "richtigen" Leute erreichen wird!
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