Literatur

Der Junge muss an die frische Luft
Meine Kindheit und ich


von Hape Kerkeling


320 Seiten, ePub
©2015 Piper Verlag, München
www.piper.de
ISBN 978-3-492-96739-6



Der nicht besonders gut gelaunte Wächter des Allerheiligsten zeigt sich wenig begeistert, auch wenn die "Fernsehfuzzis" eine Drehgenehmigung für das gesamte Gebiet von der zuständigen Behörde eingeholt haben. Dass man extra aus Deutschland angereist sei, kann ihn ebenfalls nicht beeindrucken. Als der Produzent ihm schließlich versichert, dass man im heiligen Garten lediglich drehen, aber nicht sprechen werde, erlaubt er den Zutritt zum Garten Gethsemane für ganze fünf Minuten.

Hape Kerkeling ist eher skeptisch, wenn es um die Bedeutung heiliger Stätten geht, die seiner Ansicht nach nur das sind, "was Menschen unbedingt in ihnen sehen wollen". Der Garten in Jerusalem, den Jesus einst vor seiner Kreuzigung besuchte, bildet jedoch eine Ausnahme. Er bescheinigt ihm eine "eigenständige Wirksamkeit" und ihn durchströmt eine "liebevolle Kraft", der er sich, selbst wenn er es wollte, nicht erwehren kann.

Jene Kraft, die für ihn körperlich wahrnehmbar ist, beschert ihm ein außergewöhnliches Erlebnis. Als sie den Ort verlassen, fragt der übellaunige Wärter, ob er etwas gespürt habe. Der Autor kann es bestätigen ...

... selbst dem Leser geht es so, denn Hape Kerkeling beschreibt jene unvergesslichen Momente mit einfachen, aber sehr nachhaltigen Worten. Und dieses Rezept behält er im gesamten Buch bei, was Leserinnen und Leser regelrecht zur weiteren Teilnahme an seiner Lebensreise motiviert und beflügelt. Auch und besonders, wenn er das Rad der Zeit zurückdreht und uns einlädt, ihn in seinen Kindheitserinnerungen ein gutes Stück zu begleiten.

Herrliche Anekdoten gibt es zu berichten, beispielsweise im Kapitel "Alles zurück auf Anfang", wo der Autor mit spitzer Feder jenen Tag im Jahr 1964 skizziert, der ihn als "vorweihnachtlichen Nachzügler aus Versehen" hervorgebracht hat. Auch das "vollkommen übertriebene Besäufnis", das sein Vater mit Freunden und Verwandten ihm zur Ehre veranstaltete, verschweigt er nicht. Sogar einen Polizeibericht hat es gegeben ...

Die hochehrwürdigen Damen aus der näheren Verwandtschaft, denen er einen Großteil seiner Prägungen zu verdanken hat, verdienen ebenfalls reichlich Erwähnung, allen voran seine ebenso extrovertierte wie lebenslustige Oma Änne. In ihrem kleinen Gemischtwarenladen sammelt er wertvolle Lebenserfahrungen und wichtige Studien der mitunter sehr originellen Charaktere einzelner Kundinnen und Kunden.

Neben Oma Bertha ist auch deren Schwester, Großtante Lore, eine wichtige Bezugsperson in frühester Kindheit. "Unaufhörlich auf ihn einredend" erschuf sie sich einen festen Platz in seinen Erinnerungen. Sie hatte ihn quasi "ins Leben gequasselt" und täglich jenen Satz formuliert, der diesem Buch den Titel gab.

Wer schon immer einmal wissen wollte, was wohl Herrn Kerkeling ursächlich motiviert haben mag, eine Karriere beim Fernsehen zu beginnen, findet in "Der Junge muss an die frische Luft" eindeutige Antworten. Nicht zu glauben, was seine Mutter im Rahmen einer Strafaktion anrichtete, indem sie ihn vor den Apparat setzte, als ausgerechnet ein gewisser Herr Bundespräsident eine Rede hielt. Die Weichen für den damals Sechsjährigen waren gestellt.

Wunderbar auch die Geschichten um die "Ranch" von Oma Änne, einem Pferd mit "buddhistischer Herzenswärme", dem "Dalai Lama unter den Rössern", oder vertauschten Rollen anlässlich des Karnevals, und den damit verbundenen Hürden, die erst einmal zu überwinden waren.

Aber auch die dunklen Seiten fehlen nicht, Krankheiten und die schmerzlichen Verluste in der Verwandtschaft und in den Reihen der engsten Angehörigen und schließlich der viel zu frühe Tod der Mutter. Die unbeschwerten Kindertage waren fortan unwiderruflich vorbei. Acht Jahre war er damals alt und stand vor einem Abgrund.

Wie und mit wem sich Hape Kerkelings weiterer Lebensweg gestaltet hat, ist eine aufregende Reise ins Licht. Die Welt war kaputt, doch es gab eine Person, die eine neue aufgebaut hat. Dies alles ist tröstlich, weil es zutiefst menschlich ist. Lange war der Weg, sich aus Ruinen  zu erheben, um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass, trotz allem, Humor ein guter Kumpel ist.

Und nach den wunderbaren Zeilen am Ende ist man sich ganz sicher, auch wenn man ihn nicht persönlich kennt: Hape auch!

 

Thomas Lawall - Juni 2015

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum