Literatur

Der Gott hinter dem Fenster
Erzählungen


von Michael Krüger


224 Seiten
©2015 Haymon Verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-7099-7191-8



Es beginnt mit einem "Abschied", der einer in vielerlei Hinsicht ist. Abschied nehmen kann man gleich zu Beginn von vielleicht allzu eingefahrenen Lesegewohnheiten und den entsprechenden Erwartungen, denn Michael Krüger stellt sofort klar, dass er nicht an Oberflächen zu schwimmen gedenkt und somit eigentlich nichts klar ist. Außer, dass es mitunter etwas unangenehm werden kann, wenn zum Beispiel immer wieder mehr oder weniger erfolgreich verdrängte Wirklichkeiten schonungslos offengelegt und alte Wunden somit endgültig zum Platzen gebracht werden. Dies kann durchaus geschehen, wenn sich im Frühling ein alter Apfelbaum anschickt, etwas zu tun, was man ihm im Grunde gar nicht mehr zutraut. Sich selbst noch viel weniger.

Der Besuch einer "Abendgesellschaft" ist für viele ein Mittel zum Zweck, andere langweilen sich zu Tode, da sie nun mal jene Einladung voreilig angenommen haben. Wenn sich superreiche Industrielle mitsamt ihren aufgetakelten Schönheiten mit dem Ausbau ihrer sinnfreien Konversation beschäftigen, kann es den Fluchtreflex eines Gastes, der sich wie zur falschen Zeit am falschen Platz fühlt, nur ins Unermessliche verstärken. Mitunter haben solche Veranstaltungen böse Folgen. Spätestens wenn Gegeneinladungen folgen. Man wird zum Statist. Zum Beobachter. Oder man freut sich auf die Hunde des Nachbarn ...

Michael Krüger stellt uns auch einen "Baumumarmer" vor und jenen Menschen, der diesem Buch seinen Titel gab. Er ist so "eine Art heruntergekommener Gott", ohne jede Möglichkeit, noch regulierend auf sein Werk Einfluss nehmen zu können und damit zum ewigen Beobachter verdammt.
Eine Legende aus der "Zukunft" ist ebenso im Angebot. Im Prinzip geht es um jemanden, der in der Gegenwart sitzen bleibt, während eine junge Frau verschwindet, und nie mehr gesehen wird.
Fast beiläufig beschäftigt sich der Autor mit seiner "Post". Geheimnisvoll und doch so offensichtlich.

Immer wieder werden seine Figuren an den Rand ihrer Möglichkeiten gedrängt. Dabei bewegen sie sich zwischen schwermütiger Aussichtslosigkeit, "... das einzige Ziel unserer Zivilisation ... ein riesen Haufen Abfall ...", immerwährender Sinnsuche und einer Definition ihres Selbst, auch "intellektuelle Verzweiflung" genannt, und dem humorvollen Abstand zu den Dingen, der beispielsweise mystische Zahlenreihen schlicht als "ausgemachten Mumpitz" definiert. Ein Schelm, wer dabei denkt, der Autor würde sich mitunter einen Spiegel vor die Nase halten.

Ich möchte empfehlen, nicht zu versuchen, dieses Buch ohne, meiner Meinung nach dringend erforderliche, Pausen zu lesen. Es geht einfach nicht, von Erzählung zu Erzählung zu springen. Jede für sich hat einen enormen Nachhall, dem man erst zu Ende lauschen sollte, bevor man sich in die nächste Episode stürzt. Die Beschreibungen und Charakterisierungen von Land und Leuten würden viel zu schnell vergehen, geradezu überlesen werden. Ich denke hier zum Beispiel an Dagmar, die Lektorin, welche nicht nur "ohne Punkt und Komma" redet, sondern sich zudem die Mühe macht, jeden Satz "mit ihren festen, unruhigen Händen" noch einmal "nachzukneten".

Die tiefsinnigen Beobachtungen von Natur und Landschaft laden ebenfalls nicht dazu ein, sinnlos durch das Buch zu eilen. Vor allem jene großartigen Beschreibungen, welche sich auf die Berge beziehen. Dort, wo es selbst Krähen nicht schaffen, die "überwältigende Stille" zu stören. Morgens etwas früher aufzustehen kann sich ebenfalls lohnen, um die aufgehende Sonne zu bewundern, "als hätte sie ein übermütiger Gott in die Luft geworfen".

Glänzend, pointiert und aus der Mitte des Lebens erzählt. Derart vielschichtig, dass es für Leserinnen und Leser kaum möglich ist, sich an bestimmten Stellen nicht angesprochen, zumindest jedoch persönlich berührt, zu fühlen. Dennoch ist es sehr spannend, einem gnadenlosen Beobachter zu folgen, dem keine menschliche Regung fremd zu sein scheint, der aber trotz allem Ernst der Lage sich selbst weniger ernst zu nehmen in der Lage ist.

 

Thomas Lawall - Oktober 2015

 

 

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