Literatur

Der Enkeltrick

von Franz Hohler


158 Seiten
© 2021 Luchterhand Literaturverlag
www.luchterhand-literaturverlag.de
ISBN 978-3-630-87679-5



Was soll man über den Schweizer Schriftsteller noch erzählen? Es wäre sicherlich des Guten zu viel, doch ein paar Worte zum "Enkeltrick" dürfen es dann schon sein. Nicht dass er von seiner Linie, dem Bild der Normalität mit ein paar wenigen Pinselstrichen eine absurde Note zu verleihen, abweichen würde. Ganz im Gegenteil, denn das, was wir sehen, ist nicht wirklich alles.

Es mag Geheimnisse geben, die wir niemals finden werden, aber dennoch existieren sie. Wie auch immer das zu beweisen wäre, bleibt ungelöst, und das ist auch gut so. Denn allein diesen ungelösten Rätseln verdanken wir jene Geschichten, die im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig sind. Wir "merken" genau, dass hier etwas nicht stimmt, können es fühlen, aber niemals erklären.

Das führt natürlich dazu, dass ein eindeutiges Ende, mit allen Auflösungen, Begründungen, Erklärungen oder Beweggründen nicht immer zu erwarten ist. Genau deshalb versucht es Franz Hohler auch gar nicht. Das wiederum stellt Leserinnen und Leser vor gewisse Herausforderungen, wenn das eine oder andere Fragezeichen am Ende bleiben sollte.

So wie in "Maskenzwang" beispielsweise. Oliver B. ist mit dem ICE von Basel nach Hamburg unterwegs. In Freiburg steigt eine Frau zu, die auf dem Sitz gegenüber Platz nimmt. Ein Dialog entsteht nicht, aber das unauffällige Beobachten kann ja auch ganz reizvoll sein.

"Seit das Tragen von Masken in Zügen, Bussen und Straßenbahnen obligatorisch war, hatten die Frauen für ihn an Reiz gewonnen ..."

Man hätte sehr gerne etwas mehr über jene Tanya Tagaqs "Eisfuchs" lesende Frau erfahren, oder über den vermeintlichen Verursacher der beunruhigenden Phänomene in jenem Hotel in den Bergen, welches von einem besonderen "Regen" heimgesucht wird. Ob wohl der Herr Pfarrer mit seiner Vermutung recht hat, etwas an diesem Haus sei "nicht gottgefällig"?

Ganz anders konzipiert der Autor Erzählungen wie "Der Geburtstagskalender" oder "Die Nachtigall". Die heiteren Momente des manchmal gar nicht so grauen Alltags werden hier auf die Spitze getrieben. Die Geschichten um eine bezaubernde Vogelstimme und einen frischgebackenen Pensionär, der sich der Wichtigkeit gewisser Termine plötzlich bewusst wird, explodieren hier in jeweils filmreifen Pointen. Sie sind in sich abgeschlossen, in ihrer Nachhaltigkeit aber wiederum nicht.

"Man hatte sich eigentlich immer nur bei den Beerdigungen und Trauerfeiern gesehen ..."

Die Kunst Hohlers liegt also nicht nur in der vordergründigen Leichtigkeit seiner Sprache und der ebensolchen Präzision, sondern auch und besonders in deren Wirkung. Wie sie auch immer gestrickt sein mögen, diese Geschichten hören nie wirklich auf, so wie es im wirklichen Leben auch immer irgendwie weitergeht.

Vielfach erweiterte Sichtweisen sind die Folge und das, was man täglich erlebt und sieht, erscheint in ganz anderen Farben. Neu entstandene Schatten und bisher unbeachtete stille Ecken sind, je nach persönlichem Empfinden, eine leicht beunruhigende bis wohlige Nebenerscheinung.

 

Thomas Lawall - März 2022

 

 

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