Das sagt einem ja keiner Postnatale Poesie
von Hollie McNish
522 Seiten © 2017 By Rowohlt Verlag GmbH www.rowohlt.de ISBN 978-3-499-63160-3
Das hat man nun davon, wenn man Ehrlichkeit zu einer Bedingung macht. So zu enden wie viele, die nur aus Bequemlichkeit ihre lieblose Partnerschaft bis zum bitteren Ende fortführen, kam für Hollie McNish nie in Frage. Trotzdem staunt sie nicht schlecht, als sie ihr Partner Dee mit dem Geständnis, nicht mehr in sie verliebt zu sein, vor vollendete Tatsachen stellt.
Leider ist das Timing etwas schlecht gewählt, denn Hollie ist schwanger, weshalb sich zu dem sowieso völlig unerwarteten Zustand nun noch ein weiterer gesellt. Dies scheint aber so eine Art Muster zu sein, mit welchem sich die Autorin auch in Zukunft beschäftigen würde, und aus Sicht des Rezensenten war es eine verdammt gute Idee, alle Gedanken dazu einmal festzuhalten.
Nicht nur, dass sich Gefühltes und Erlebtes manchmal zu schnell in diffuse Gedankenfetzen auflösen, die nur noch mit Mühe im Original zurückzuholen und zu formulieren sind, sondern auch um etwas ziemlich Neues auszuprobieren. Eine ebenso schonungslose wie ungeschminkte Zustandsbeschreibung einer Schwangerschaft und der Zeit danach. Weder rosa gefärbt noch gluckenhaft verherrlicht. Eben auch ehrlich.
Das erfordert nicht nur Mut und Frechheit, sondern auch eine besondere literarische Form. Der wechselhaften Gefühlsachterbahn geschuldet, bietet sich eine gesplittete Form an, der permanente Wechsel zwischen "Prosa und Gedicht". Besser kann man wohl Gefühlsschwankungen und -wallungen nicht zu Papier bringen, was Leserinnen und Lesern einiges abfordert, denn um den heißen Brei schreibt die Autorin in keinem Fall herum.
Was einem also keiner sagt, sagt Hollie McNish in ihrer "postnatalen Poesie", auch wenn sie bei der eigentlichen Geburt ihrer Tochter eine Ausnahme macht. Dazu will sie "lieber nichts sagen". Immerhin deutet sie in eindringlichen Textpassagen die Tortur an. Auch die Dauer dieser.
Der Rezensent gerät ständig in Versuchung, verschiedene An- und Einsichten zu zitieren und hält sich nur mühevoll davon ab. Besser allgemein bleiben, denn emotional unbelastet ist er in diesem Fall nicht. Wie unterschiedlich eine Schwangerschaft von den beiden Hauptverantwortlichen gesehen wird, hat er selbst erleben müssen, aber immerhin hat er "das Beste, was ein Mann jemals sehen kann", oder auch "das Schlimmste" ebenfalls sehen und erleben dürfen, wobei das Adjektiv "erleben" für einen Mann in diesem Fall eine ungeheure Anmaßung bedeutet.
Allerdings auch kein Wunder, denn wenn es mehr Bücher und Frauen geben würde wie Hollie McNish und ihr bahnbrechendes Werk, könnten Männer zumindest einige ihrer (zahlreichen) ungeöffneten Türen in ihrem geistigen Horizont öffnen, um wenigstens halbwegs nachvollziehen zu können, was Frauen in der Schwangerschaft und danach leisten. Das würde den Frauen die Arbeit zwar immer noch nicht abnehmen, das gegenseitige Verständnis aber ungeheuer erleichtern.
Die Autorin schwankt ständig zwischen eiserner Disziplin und zerstörerischer Selbstverachtung sowie freudiger Erwartung und panischer Angst hin und her. Kein Wunder, denn "zwei Körper in einem zu verwalten" hat einen Preis. Und die zweimalige drastische Verwandlung desselben erst recht. Neun Monate hat er "an einem Kind geschuftet" und nach der Geburt gleicht er einem "Schrotthaufen".
Trotz aller Ambivalenz der eigenen Gefühlswelt, dem Protest gegen völlig "marode Moralvorstellungen", latentem Rassismus (ihr Freund ist ein Schwarzer) und dem verzweifelten Kampf, nicht in gesellschaftliche Schubladen zu fallen, bleibt die Liebe und Faszination, "in Ehrfurcht und Ruhe, ein Bündel Mensch im Arm" zu halten und zu beschützen.
"Ich habe Spuren neben meinen Augen vom Lächeln und dem Glück, das ich fand."
Ein ergreifendes, wichtiges und ehrliches Buch!
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