Literatur

DAS LEHRERHASSERBUCH
Eine Mutter rechnet ab

von Lotte Kühn


220 Seiten
Originalausgabe Dezember 2005
Copyright © 2005 bei Knaur Taschenbuch
www.knaur.de
ISBN-13: 978-3-426-77834-0
ISBN-10: 3-426-77834-3


Das vorliegende Buch ist keineswegs, wie der Untertitel zunächst vermuten lässt, eine simple Abrechnung, die sich aus der Summe von addierten Untaten div. Lehrkörper zusammensetzt. Oberflächlich gesehen (und gelesen), handelt es sich zwar um eine ebenso gnadenlose wie einseitige Anklage an die "machtvollen Motivationsvernichter", die vermeintliche Abrechnung verwandelt sich jedoch gegen Ende in einen verzweifelten Hilferuf ("Her mit den guten Lehrern") und ein leidenschaftliches Plädoyer für ganzheitlich arbeitende Pädagogen!

Es ist schon erschreckend, was sich in deutschen Schulen alles so abspielt. Immer häufiger lesen wir von gewalttätigen Ausschreitungen und Übergriffen. Kinder und Jugendliche in fast allen Altersstufen sind immer weniger bereit, einem geregelten Unterricht zu folgen und verhindern somit mehr und mehr den ordentlichen Schulbetrieb. Sie stören den Unterricht und nicht nur das. Sie stören das ganze System. Aber warum?

Sicherlich spielen Herkunft und Umfeld der Kinder eine entscheidende Rolle. Die Autorin beschreibt aber weitere Ursachen dort, wo sie in aller Regel nicht vermutet werden, nämlich in den Reihen der Damen und Herren Lehrer sowie in der "übermächtigen Institution Schule" insgesamt... in der "Knechtschaft nach Noten".

Die Autorin schildert, wie lern- und wissbegierigen Kindern bereits in der Grundschule die Lust am Lernen geraubt wird, und sie berichtet auch darüber, wie Kinder im großen Stil beschämt, kleingemacht und (seelisch) verletzt werden! Alles hinter verschlossenen Türen natürlich. Und wehe die Kids mucken auf - oder gar die Eltern. Sinnlos, denn die "Wagenburgmentalität" im gesamten Kollegium verhindert jedes unbefugte Eindringen! Es scheint fast unmöglich zu sein, den Beamten auf Lebenszeit beizukommen oder gar auf die Anklagebank zu setzen.

Ich selbst kann ein Lied davon singen und möchte hiermit den Abschnitt "Lehrermund tut Wahrheit kund" (Kapitel 9, S. 168) um eine weitere Brachial-Formulierung bereichern. Eines meiner Pflegekinder (14) bzw. die ganze Klasse wurde regelmäßig mit genau dem gleichen Vokabular bedacht, welches Frau Kühn tabellarisch aufgeführt hat. Mehrere Gespräche mit dem Klassenlehrer, Rektor und sogar dem betreffenden Fachidioten brachten keinerlei Veränderungen. Als später mehrmals der Satz "ihr seid ja alle geistig behindert" formuliert wurde, riss mir der Geduldsfaden und ich kontaktierte das Schulamt. Dann hat's tatsächlich gerappelt und zwar nachhaltig. Und in dem Fall einer Lehrerin, welcher die Faust "versehentlich" ausgerutscht ist, ebenfalls...! Man muss nur den Mut aufbringen, sich zu wehren!

"Nur die Schule kann sich leisten, die von ihr Abhängigen zu beurteilen. Überall sonst wird die Dienstleistung beurteilt, nicht der Empfänger." Es kann tatsächlich nicht angehen, dass die ganze PISA-Misere unseren Kids angelastet wird. Die Schule ist durchaus eine Art Unternehmen, welches ganz bestimmte Aufgaben zu erledigen hat. Und wie sieht es in der freien Wirtschaft aus? Wer trägt eigentlich die Schuld, wenn ein Unternehmen versagt und sozusagen rote Zahlen schreibt? "Überall in der Wirtschaft müssen schlechte Unternehmen die Kosten und Konsequenzen ihrer Unfähigkeit selbst tragen. Das führt nicht selten in den Konkurs. Schlechte Lehrer dagegen füttern wir bis zur Frühpensionierung durch und lassen sie Tag für Tag auf unsere Kinder los."

Harter Tobak. Aber dieses Buch war längst fällig. Damit ist zwar nicht alles gesagt - aber verdammt viel! Lotte Kühn schreibt ironisch-bitter, aber nicht ohne Witz... und sie vergisst eines nicht, nämlich die andere Seite, denn es gibt sie noch, die Lehrer, die unsere "Lust am Verstehen wecken, anstatt zum Lernen zu zwingen". Und die Handvoll, die uns in unserer Vergangenheit begegnete, werden wir zur Belohnung nie vergessen. Ich erinnere mich sehr genau an eine Deutschlehrerin, an einen Musik- und einen Mathelehrer im Mainzer Gutenberg-Gymnasium, so um 1970 rum. Diese Motivierer vom Dienst zelebrierten einen Unterricht weitaus aufregender als jeder Action-Film! Mathe war ein spannendes Abenteuer, Deutsch ein intellektuelles Feuerwerk und Musik ein wahres Fest...!

DAS LEHRERHASSERBUCH mag für leidgeprüfte Eltern zunächst eine Bestätigung sein und man erfährt fast erleichtert, nicht ganz alleine dazustehen. Das Buch macht Wut aber auch Mut, nun endlich auf die Barrikaden zu gehen...

Fazit: Unter dem Strich ist das Lehrerhasserbuch aber in Wirklichkeit (auch) eine leidenschaftliche Liebeserklärung an Pädagogen, die diesen Namen noch verdienen...!

 

Thomas Lawall - Juni 2006

 

 

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