Literatur

Christine Bernard. Das Eisrosenkind

von Michael E. Vieten


304 Seiten
© acabus Verlag, Hamburg 2016
www.acabus-verlag.de
ISBN 978-3-86282-413-7



Rein ins schicke Abendkleid - raus aus dem schicken Abendkleid. Immerhin reichte die Zeit für ein komplettes Konzert mit Werken von Camille Saint-Saëns. Kommissarin Christine Bernard freute sich aber vergeblich auf den weiteren Abend mit neuem Freund Torben, der im Konzert eines saarländischen Sinfonieorchesters Cello (an diesen Abend "um sein Leben") spielte. Schon ruft der nächste Fall. Die Kollegen sind bereits am Tatort, so dass Christine immerhin noch die Zeit bleibt, zu Hause kurz Pumps und Kleid gegen ihr übliches Erscheinungsbild auszutauschen.

Jeder Polizeibeamte hofft insgeheim, nie in Ermittlungsarbeiten, die den Mord an einem Kind betreffen, involviert zu werden. So auch Kommissarin Bernard. Doch irgendwann werden fromme Wünsche von der Realität geradezu überrollt. Jetzt ist es soweit.

Ein achtjähriges Mädchen wurde als vermisst gemeldet und nun offenbar gefunden. Kürzlich hatte Christine ein Gespräch mit der verzweifelten Mutter des vermissten Mädchens geführt. Ihre Hoffnung, es könnte sich vielleicht um ein anderes Kind handeln, wird umgehend zerstört, als sie die Leiche in Augenschein nimmt. Die Ähnlichkeit zu Rosalia ist nicht zu übersehen, wie es scheint ...

Weshalb die Geschichte und ihre Personen irgendwie statisch wirken, weiß ich nicht wirklich zu begründen. Vielleicht weil die Art zu erzählen etwas umständlich und kantig rüberkommt und sich in profanen Dingen verliert: Man macht dies und das, dann fährt man hierhin und dorthin, steigt ein und wieder aus, begrüßt und verabschiedet sich, geht schlafen und steht wieder auf, öffnet Türen und schließt sie oder zieht die Schultern hoch, atmet ein und lässt sie "beim Ausatmen wieder fallen ". Und wen interessiert es, wenn Brötchen geholt werden und Kaffee getrunken wird? Das sind Lückenfüller, die Metaphern ersetzen, welche leider mit der Lupe zu suchen sind.  

Dass es auch anders gehen kann, beweist der Autor mit einer Aktion des Polizeihauptmeisters Günther Hagemann, seines Zeichens Chef der Spurensicherung. Am liebsten hätte er einen Fundort "aus der Landschaft herausgestochen und mit in sein Labor genommen". Auch die Formulierung seiner Kommissarin, die in Gedanken den schrecklichen Anblick des gefrorenen Kindergesichts in Worte zu fassen versucht: "Die Schönheit des Grauens", kann plötzlich Bilder im Kopf des Lesers erzeugen. Auch die Sternenstaub-Passage auf S. 241 regt zum Nachdenken an.

Leider bleiben die Textstellen mit literarischem Tiefgang in der Minderzahl und die Personen farblos. Selbst die Hauptdarstellerin scheint sich nur durch ihre oft wiederholte Fahrzeugmarke und den Typ zu definieren. Immerhin glänzt Michael E. Vieten mit dem einen oder anderen gesellschaftskritischen Querschläger. Rosalias Mutter kämpft sich als Alleinerziehende durchs Leben und kommt mehr schlecht als recht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aus. Dabei riskiert er sogar einen Blick in die Zukunft, was die zu erwartenden Renten dieses und ähnlicher Personenkreise betrifft: "Immer am Rande des finanziellen Ruins mit Aussicht auf eine mickrige Rente nach dreißig, vierzig Jahren unterbezahlter Berufstätigkeit."

Inhaltlich sieht es wieder anders aus. Die zunächst etwas geradlinig angelegte Story erfährt durch die Ergebnisse des Gerichtsmediziners Dr. Vogler eine schockierende Wendung. Ab Seite 46 stimmt dann gar nichts mehr und dem völlig übertölpelten Leser will sich die Kinnlade erst einmal gar nicht mehr schließen. Jetzt kommt der Roman in Fahrt und ob man will oder nicht: Weiterlesen ist Pflicht, ja schon fast Nötigung. Wem eine spannende Geschichte genügt, ist hier richtig.

 

Thomas Lawall - Juni 2016

 

 

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