Literatur

Bob Dylan: Mixing Up the Medicine

Herausgegeben und verfasst von
Mark Davidson und Parker Fishel



608 Seiten
Copyright © 2023, Callaway Arts & Entertainment
© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe Droemer Verlag
www.droemer-knaur.de
ISBN 978-3-426-27915-1



Die Lesegewohnheiten des Rezensenten stellt dieses Buch auf den Kopf. Vielen Leserinnen und Lesern wird es ähnlich gehen, denn nicht nur das ungewohnte Format, sondern auch das für ein Buch enorme Gewicht machen den gemütlichen Leseabend im Bett zunichte. Auch Omas uralte Lesecouch bleibt für eine ganze Weile ungenutzt, ebenso wie alle anderen Leseecken der etwas gemütlicheren Art.

Da muss eine stabile Unterlage her, und so bekommt der Esstisch eine ebenso ungewohnte wie ganz neue Zusatzfunktion. Das Lesen am Tisch ist neu, ja fast (für mich) etwas verstörend, was dem Buch aber umgehend die volle Aufmerksamkeit verleiht. Und schließlich geht es ja um niemand geringeren als Robert Allen Zimmerman ...

...der sich, im Alter von 22 Jahren, ab dem 2. August 1962 Bob Dylan nannte. Die Zeit davor, insbesondere die frühere Schulzeit, unterschied sich nicht wesentlich von der seiner Mitschüler/innen, wenn man von den recht früh einsetzenden musikalischen Tätigkeiten und Entwicklungen einmal absieht.
"The Golden Chords" beeindruckten wohl gleichaltrige, waren ansonsten aber unbedeutend, ebenso wie die Gesangsgruppe "The Jokers", der er Mitte der 50er Jahre angehörte.

Das änderte sich grundlegend nach dem Besuch von Buddy Hollys letztem Konzert am 31.01.1959, welches für Bob Dylan maßgebend von Bedeutung war, und spätestens ab hier wird das Buch richtig spannend. Ebenfalls von ungeheurer Bedeutung für ihn waren Woody Guthries Songs und die persönliche Begegnung mit ihm:

"Er hatte einen Ton ... Und er hatte etwas zu sagen, das gesagt werden musste."

Der Einfluss des Rock'n'Roll wurde durch Folk entscheidend verändert bzw. abgelöst, und bald kannte Bob Dylan seine Songs in und auswendig. Sich selbst bezeichnete er rückwirkend als "eine Art Woody-Guthrie-Jukebox".

Als wäre dies alles noch nicht spannend genug, folgen die Hintergrundgeschichten zu den ersten LP-Veröffentlichungen "Bob Dylan" (1962), "The Freewheelin' Bob Dylan" (1963) und "The Times They Are A-Changin'" (1964), und da ist sie wieder, die Gänsehaut!

Es mag ein Unterschied sein, alle bisherigen Veröffentlichungen über den Ausnahmemusiker zu kennen, oder vielleicht nur wenige oder gar keine. Kenner/innen mögen eine gewisse Überladung des Buches feststellen, während die andere Seite jubelt. Beide Sichtweisen mögen auf ihre Art ihre Berechtigung haben, wobei sich der Rezensent eher der uneingeschränkten Begeisterung anschließen möchte...

... denn dieses Werk enthält genau das, was vielen anderen Biografien fehlt.
Hier gibt es Bild- und Textmaterial in Hülle und Fülle, Fotos von aktuellen wie ersten Auftritten, Zeitzeugen, rare Plattencover, sowie Zeitungsausschnitte, Tourplakate, Eintrittskarten, Notizbücher und vieles mehr, insgesamt 1100 Abbildungen, und überhaupt den ganzen "Kram", den Sammler/innen gerne besitzen würden, sich aber niemals leisten könnten. Zum Glück gibt es aber das Archiv des Bob-Dylan-Centers in Tulsa/Oklahoma.

Dieses Buch ist somit (mindestens) eine Entdeckungsreise der anderen Art, insbesondere für jene, die wenig oder gar keine Literatur über Dylan gelesen haben und auch nur eine Handvoll der Songs kennen. Um so mehr dürfte es dann erstaunen, wie groß die Songauswahl tatsächlich ist, wie zahlreich die Tourneen waren (und weitergehen werden) und dass Bob Dylan auch noch die Zeit zum Malen sowie zu einer handfesten Kunstform, dem Schweißen großer Eisentore aus Metall, fand.
 
Die dreißig Essays bekannter Autoren und Autorinnen führen chronologisch durch die Jahrzehnte der, teilweise recht unterschiedlichen, Schaffensperioden Dylans und zeichnen somit ein sehr persönliches Gesamtbild, das es, zumindest in dieser Form, noch nie gegeben hat. Höhepunkte sind die Entstehungsgeschichten verschiedener Songs, sowie deren weitere Bearbeitung, Entwicklung und Veränderung, die mitunter erst auf der Bühne während eines Konzerts entstanden. Überhaupt motiviert dieses Buch zum ständigen Reinhören in Songs, die man entweder noch gar nicht kennt, oder gerne wieder einmal hören würde.

Faszinierend sind (für Laien) Beobachtungen, die sich mit der Songstruktur beschäftigen. So ist es z.B. möglich, dass es Autoren wie Alan Licht auffällt, wenn in einem Song statt in E-Dur plötzlich in Fis-Dur gespielt wird, während das betreffende Stück auf einem Album in A-Dur, oder bei einer Akustikversion in G-Dur gespielt wird. Wer es also ganz genau wissen will, ist hier ebenfalls gut aufgehoben. Ob Bob Dylan selbst so genau analysiert, kann allenfalls vermutet werden, denn die Entstehung seiner sich immer weiter verändernden Songs, sowohl was die Musik als auch Verse und Bilder betrifft, ist eher spontan und entspringen "einer unbewussten Gemütsverfassung", wie er selbst formuliert.

Sehr bewusst hingegen können sich jetzt die Fans mit ihm und seinem Gesamtwerk beschäftigen, was in "Bob Dylan - Mixing Up the Medicine" mit seinem Geburtsjahr 1941 beginnt und nach dem Epilog mit einem Foto aus dem Jahr 2023 endet.

Übrigens, das Mammutwerk, ein Mittelding zwischen Biografie, Sammelalbum und literarischer Wundertüte, wurde mir von einer Mitarbeiterin des Droemer Verlags im Vorfeld mit folgenden Worten angekündigt: "Das Buch ist der Hammer!"

Das war mit Sicherheit die bisher charmanteste Untertreibung des Jahres.

 

Thomas Lawall - März 2024

 

 

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