Literatur

Blutsommer

von Rainer Löffler


496 Seiten
© 2012 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbeck bei Hamburg
www.rororo.de
www.rainer-loeffler.com
ISBN 978-3-499-25727-8



Professor Kleinwinkel zeigt sich über den unerwartet späten Besuch wenig begeistert. Er und sein Sektionsdiener wähnten sich bereits im wohlverdienten Feierabend, den Konrad Greiner, erster Hauptkommissar des Kriminalkommissariats 11 in Köln, mit einem Anruf zu verhindern wusste. Auf dem Sektionstisch liegt das vermeintlich fünfte Opfer einer Mordserie, die seit einigen Monaten Köln in Atem hält.

Mit von der Partie sind Martin Abel, Berater und Hauptkommissar vom LKA Baden Württemberg sowie die junge Kollegin und Hauptkommissarin Hannah Christ. Was sie zu sehen bekommen, wussten sie bereits aus den Berichten, und doch wird noch einmal ohne Zweifel klar, dass die letzten Stunden von Rechtsanwalt Hartmut Krentz unter keinem guten Stern lagen. Die diabolische Regie der Greueltat lässt Abel, Deutschlands führenden Fallanalytiker, nichts Gutes ahnen.

Seinen vorauseilenden Ruf, ein nicht ganz unkomplizierter Mensch zu sein, bestätigt er wieder einmal aufs Neue, indem er die Freigabe der Leiche bzw. das, was von ihr übrig ist, für die in zwei Tagen angesetzte Beerdigung ablehnt. Er müsse sich zuerst "... das da genauer anschauen". Proffessor Kleinwinkel sieht sich und seine Untersuchungsergebnisse in Frage gestellt und reagiert entsprechend agressiv. Martin Abel lässt sich davon nicht beeindrucken und setzt sogar noch einen drauf, indem er eine Änderung der Untersuchungsmethoden fordert. Zudem möchte er jetzt mit der Leiche allein sein ...

Dabei wollte Abel gar nicht weg aus Wien, da er mit vier Mordfällen völlig ausgelastet war. Doch ein Anruf aus Stuttgart belehrte ihn dahingehend, dass anderswo wichtigere Dinge zu erledigen sind. Frank Kessler, Chef der OFA (operative Fallanalyse) Baden-Württemberg im LKA Stuttgart kommandierte ihn regelrecht ab. Sein Kollege und Freund Konrad Greiner bat um Unterstützung in Köln, da es dort ernsthafte Schwierigkeiten geben würde. Ein ungewöhnliches Ansinnen, denn Greiner sei der "personifizierte polizeiliche Erfolg" und war in keinem Fall jemals auf Hilfe angewiesen. Zudem steht er mit der operativen Fallanayse auf Kriegsfuß und traut dem "Fallanalytiker-Quatsch" nicht über den Weg. Er bevorzugt "saubere polizeiliche Handarbeit", doch wenn er schon eine Ausnahme macht, dann möchte er wenigstens den besten Mann haben, den das OFA zu bieten hat: Abel.

Für mächtiges Konfliktpotential ist also gesorgt, und die Probleme scheinen nicht kleiner zu werden, als Frank Kessler für Abel eine Partnerin aus dem Ärmel zieht. Er ist fortan verpflichtet, mit Deutschlands bester Fallanalytikerschülerin zusammenzuarbeiten. Schon am ersten Tag der Zusammenarbeit kommt es zum Eklat, denn die Zweiunddreißigjährige ist keineswegs auf den Kopf gefallen. In einem Streitgespräch versichert sie ihm, dass sie in der Lage ist, Götter von Arschlöchern zu unterscheiden. Deshalb wüsste sie auch, dass Abel kein Gott ist ...

Donnerwetter! Einen so kraftvollen Kriminalroman hatte ich gar nicht erwartet, zumal es sich bei "Blutsommer" um ein Debut handelt! Der etwas verhaltene Klappentext gibt viel Allgemeines aber wenig Vielversprechendes her - ein Eindruck, der sich nach wenigen Seiten in Luft auflöst. Die atmosphärische Dichte von "Blutsommer" legt den Leser rettungslos an die Kette und lässt ihn bis zum Ende nicht mehr los. Dabei geht es in diesem Thriller nicht nur um erschreckende Scheußlichkeiten unvorstellbaren Ausmaßes, sondern in erster Linie auch um die in diesem Zusammenhang beteiligten Personen. Die Charaktere von Greiner, Abel, Christ und dem Mörder sind klar und ausführlich gezeichnet, ein Umstand, der heute nicht mehr selbstverständlich ist.

Während sich Figuren anderer Geschichten charakterlich eher in seichten Gefilden bewegen und mit blassen Profilen (oder gar keinen) auskommen müssen, legt Rainer Löffler seine Protagonisten völlig anders an. Tiefe und ein teilweise erschreckender "Realismus" gilt für die beteiligten Ermittler gleichermaßen wie für die schauderhafte Story, wobei einige Rand- und Nebenfiguren ebenfalls sehr plastisch herausgearbeitet werden. Einen genialen Forensiker wie den kauzigen Prof. Schwartz aus Rom kann man sich (ebenfalls) bildlich vorstellen. Doch auch für eine ausführliche Reise in die Vergangenheit nimmt sich Rainer Löffler Zeit. Der Leser erhält Einblick in die Kindheit des Mörders und eine (weitere) erschütternde Rückblende ermöglicht sogar einen Einblick in die Zeit davor. Das stimmt nachdenklich ...

Erfreulicherweise ist eine ganze Serie um den Fallanalytiker Martin Abel geplant. Ich gratuliere herzlich und bin bei den nächsten Veröffentlichungen auf jeden Fall wieder am Ball. Ich frage mich allerdings nach der Intensität der vorliegenden Lektüre ernsthaft, wie ein solcher Roman noch getoppt werden kann. Ich halte das für ausgeschlossen, lasse mich aber sehr gerne vom Gegenteil überzeugen!

 

Thomas Lawall - September 2012

 

 

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