Literatur

Blutgasse

von Thomas Askan Vierich


285 Seiten
© Haymon Verlag, Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
www.tavierich.de
ISBN 978-3-85218-816-4



Wieder ein Krimi aus Österreich, wieder vom Feinsten und wieder von edelster Machart. Doch eingangs ein Hinweis an alle, die sofort einen mit Leichen gepflasterten Weg erwarten. Entäuscht wären diese vielleicht, denn Mord und Totschlag nähern sich hier auf sehr leisen Sohlen. In "Blutgasse" braut sich das Unheil langsam zusammen. Dafür aber unaufhörlich und wenn es soweit ist, schlägt es erbarmungslos zu!

"Wolferl! Wolferl!" ruft jemand am Ende der Blutgasse vor dem Mozarthaus. "Viva Mozart!" gröhlt eine Gruppe Touristen als Antwort. Der Verfolger ist für einen Moment abgelenkt und das potentielle Opfer kann in den nächsten Hauseingang flüchten. Sie ist froh, dem unheimlichen Mann vorerst entkommen zu sein. Sie versteckt sich zwischen Müllcontainern, was in ihrem Aufzug nicht ganz unproblematisch ist. Auf Stöckelschuhen hinter einem "Mistkübel" auszuharren, ist nicht nur unbequem, sondern in höchstem Maße unappetitlich. Es stellt sich die bange Frage, ob er sie entdecken würde. Die alte Frau, die ihren Müll entsorgt, will sie nicht zu Tode erschrecken und verharrt deshalb in ihrer Position. Die Nacht ist schwarz, der Nebel wird immer dichter und der Akku vom Handy ist selbstverständlich leer. Gibt es eine Chance, dem Ledermantelmann zu entkommen? Plötzlich hört sie Schritte, und diesmal ist es keine Hausbewohnerin, die ihren Unrat entsorgen will ...

Es ist kurz nach drei. Sie erschreckt sich zu Tode und ist plötzlich hellwach. Da ist ein Geräusch im Wohnzimmer. Wahrscheinlich Sigi, der Kater. Kurz darauf wieder etwas, doch diesmal muss es ein schwerer Gegenstand gewesen sein. Zu schwer für Sigi. Also verlässt Barbara ihr Schlafzimmer und macht sich vorsichtig auf den Weg nach unten. Vielleicht sollte sie sich bei Gelegenheit doch eine Alarmanlage einbauen lassen und einen Revolver besorgen. Die Schranktür neben dem Fernseher ist offen und ein schwerer Aschenbecher ist vom Wohnzimmertisch gefallen. Jetzt macht sie überall Licht, weil sie dem Eindringling nicht im Dunkeln gegenübertreten will ...

Barbara Baric ist die Tochter des Wiener Baulöwen Wilhelm "Beton-Willy" Baric, dem "König der Billigbauweise". Er ist 65 Jahre alt und seine Tochter fühlt sich in der Lage, demnächst in seine Fußstapfen treten zu können. Ihr Vater sieht die Dinge jedoch ganz anders, zumal er mit seinem künftigen Schwiegersohn Ferdinand "Ferdl" Wagner, dem "Shootingstar der Avantgarde", auf Kriegsfuß steht. Zusätzliche Brisanz kommt ins Spiel, da Ferdl mit Barbara vor einigen Monaten die "Frischbau" gegründet hat, welche in Konkurrenz zu Baric Bau treten könnte!

Alfred Brinkmann, Journalist und "Lebemann" aus Berlin, liiert mit Cordula Pokorny, einer Freundin von Barbara, lässt sich von ebendieser überreden, sie als eine Art Leibwächter zu begleiten. Die Bedrohungen von Leib und Leben erreichen einen vorläufigen Höhepunkt, als sie in ihrem Wagen verunglückt. Die Bremsleitungen enthalten fast kein Öl mehr. Die weiteren Ereignisse geraten aus den Fugen, als man Barbaras Vater ermordet vorfindet. In einer frisch ausgegossenen Betonfläche!  

Lange hat es gedauert, doch jetzt nimmt der Krimi richtig Fahrt auf. Aufgrund der langen Vorgeschichte scheint es keine Frage zu sein, wer für die Tat verantwortlich ist. Selbstverständlich bleiben aber faustdicke Überraschungen nicht aus. Thomas Askan Vierich, Redakteur, Magazinmacher und Literaturkritiker hat nach seinem kulinarischen Roman-Debut "Tödliche Delicatessen" (2006) mit seinem zweiten Buch einen Kriminalroman geschrieben, der schonungslose Einblicke in und ums Wiener Baumilieu gewährt. Hier tut sich der eine oder andere Abgrund auf (wobei es gar nicht mal so ausgeschlossen ist, dass sich die skizzierte Vetternwirtschaft und Korruption mühelos auch auf hiesige Verhältnisse übertragen lassen). Doch der Autor geht insofern einen Schritt weiter, indem er so unterschiedliche Themenbereiche wie die Wiener Küche ganz nebenbei einfügt sowie ein überaus bekanntes Rätsel-Zeichenspiel für Kinder, welches im Rahmen dieser Geschichte eine sehr zentrale Rolle spielt! Über eine außerordentlich unterhaltsame Nachhilfestunde in Sachen Wiener Sprachlehre sowie Aufklärung über die Feinheiten des Wiener Straßennetzes dürfen wir uns ebenso freuen. Auch etwas städtebaulicher Geschichtsunterricht fehlt nicht sowie das (ebenfalls) in die Handlung verwobene, bitterböse Kapitel der Situation der einst in Wien lebenden Juden zur Zeit des Nationalsozialismus.

Eine der Hauptfiguren - Alfred Brinkmann - hat eine "tiefsitzende Aversion" gegen "umständliche Sprachverwendung". Es mag kein Zufall sein, dass sein Schöpfer diese Eigenschaft mit ihm teilt. So findet man in "Blutgasse" keine verschachtelten Satzkonstruktionen, denen eine ausführliche Selbstdarstellung wichtiger ist als die weiteren Ereignisse auf der Handlungsebene. Präzision in Ausdruck und Sprache sind hier die Zauberwörter, was dem einen oder anderen vielleicht etwas nüchtern vorkommen mag. Doch genau hinter ebensolchen Fassaden treiben Neid und Missgunst des Macht- und Geldadels, oft und lange unerkannt, ihr schauriges Spiel ...

 

Thomas Lawall - Oktober 2010

 

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