Literatur

Bierleichen

von Su Turhani


368 Seiten
© 2013 Knaur Taschenbuch
www.knaur.de
ISBN 978-3-426-51364-4



Das spontan vereinbarte Treffen findet in einer wenig attraktiven Lokalität namens "Bierspritze" statt. Kommissar und Leiter des Sonderdezernats "Migra" Zeki Demirbilek sammelt beim nicht sehr gastfreundlich veranlagten Wirt zusätzliche Minuspunkte, indem er für sich und seine Kollegin Jale Cengiz jeweils ein offenbar gänzlich unübliches Wasser bestellt. Die unbekannte Frau hat sich bereits eingefunden, nachdem sie vorab den Kommissar dringend um ein Gespräch ersuchte und damit die privaten Pläne, insbesondere die von Jale, durcheinander brachte.

Die Frau berichtet, den Toten gekannt zu haben. Ömer Özkan war Student an der Filmhochschule, die auch sie besuchen würde. Unklar bleibt, wie die Frau an die Information gekommen ist, dass Kommissar Zeki Demirbilek und seine Leute, in dem offiziell als Unglücksfall eingestuften Fall, auf eigene Faust ermitteln. Immerhin weiß die apathisch wirkende Frau die bisherigen Erkenntnisse insofern zu erweitern, als sie sich den stark alkoholisierten Zustand der Leiche nicht erklären kann. Ömer hätte Alkohol nicht einmal angerührt ...

Insofern glaubt Demirbilek nicht an einen Unfall und bemüht sich bei der Gerichtsmedizinerin Dr. Sybille Ferner, wobei er vor einem Privatbesuch nicht zurückschreckt, um eine Wiederholung bzw. Erweiterung der Obduktion.
Zudem muss geklärt werden, inwieweit ein zweiter Fall mit dem ersten Leichenfund in Verbindung gebracht werden kann. Hier handelt es sich allerdings zweifellos um Mord.

Gerade zur "Biertrinkerin des Jahres" gewählt, wurde ihre Leiche noch in der selben Nacht in einer Grünanlage gefunden. Ausgerechnet Kommissar Pius Leipolt hatte sie am Abend zuvor noch ziemlich lebendig erlebt, als sie bei einem Bierfestival jene Auszeichnung erhielt, während er seinerseits die Gelegenheit nutzte und sich einer nicht unanstrengenden Bierverkostung widmete. Gearbeitet hatte sie bei der Privatbrauerei Mingabräu, wo auch Ömer Özkan als Aushilfskraft stundenweise beschäftigt war ...
 
Über jenem Traditionsunternehmen brauen sich im wahrsten Sinne des Wortes dunkle Wolken zusammen. Süleyman Bayrak, Inhaber eines Brauereiunternehmens mit dem Hauptsitz in Izmir, kaufte unlängst die bayerische Brauerei auf. Ein bisher einmaliger Fall in der 320jährigen Firmengeschichte ...

Su Turhan schreibt in seiner Danksagung am Ende des Buches von der Zuneigung, die ihn mit seinen Figuren verbindet. Beim Schreiben fühlt er eine fast persönliche Beziehung zu ihnen, weshalb diese eine erstaunliche Eigendynamik entwickeln, und seinen Alltag schon einmal durcheinander bringen können. Als Leser spürt man diese Nähe auf jeder Seite. Der Autor erzählt nicht nur eine spannende Geschichte, er erzählt auch die Geschichte seiner Figuren.

So hungert man geradezu mit, wenn sich Zeki Demirbilek mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft den Regeln des Fastenmonats Ramadan unterwirft. Ein Wunder, dass sich der regeltreue Moslem, derart geschwächt, weiterhin den Ruf eines "ermittlungstechnischen Wadenbeißers" erhalten kann. Wenn der kantige Ermittler in seinem Element ist, schreckt er gar, wenn es ihm in der Sache dienlich zu sein scheint, nicht davor zurück, eine Toilettenkabine umzuwerfen.

Lust auf handfeste Auseinandersetzungen hat er sowieso, insbesondere wenn es um seinen bayerischen Kollegen Pius Leipold geht. Su Turhan gießt mächtig Öl ins Feuer, wenn die beiden Streithähne die Arena betreten. Deutsch-türkisches Konfliktpotential, liebevoll in Szene gesetzt! In scharfem Kontrast dazu, zeigt der Autor auch die sensible Seite seiner Hauptfigur, indem er den Leser immer wieder an Zekis aufkeimenden Sehnsucht nach seiner ersten geschiedenen Frau Selma teilnehmen lässt. Gelegentliche Ausraster runden das Bild wieder ab - es darf auch gerne einmal ein Taxi demoliert werden!

Und so ganz nebenbei erfährt man interessante Fakten zum Thema Bier. Wer hätte gedacht, dass rund 1600 Brauereien in Deutschland etwa 5000 Biersorten herstellen? Auch aus dem reich bemessenen Schatz von Demirbileks Lebenserfahrungen dürfen wir uns gelegentlich bedienen, um uns an der einen oder anderen Weisheit zu erfreuen. Beispielsweise ist die deutsche Sprache für Türken eine "unmögliche" und was wir schon immer ahnten, bestätigt uns "Kommissar Pascha", der "bayerische Grantler", in einfachen, aber umso treffenderen Worten: "Frauen sind meist die spannenderen Menschen."

 

Thomas Lawall - März 2014

 

 

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