Bevor wir verschwinden
von David Fuchs
216 Seiten © 2018 Haymon Verlag www.haymonverlag.at ISBN 978-3-7099-3433-3
Die Chirurgen sind besser dran. "Die können sich im OP verstecken." Alle anderen Ärzte müssen sich eigene Rückzugsmöglichkeiten schaffen. Hauptsache, man verschwindet nach der Visite schnellstmöglich von der Station. Schließlich sollen die Schwestern nicht sehen, wenn man einmal nichts zu tun hat. Zur Not ist die Flucht zum Kaffeeautomaten in einem anderen Stockwerk oder die Raucherterrasse immer eine gute Idee.
Ambros Wegener ist 24 Jahre alt. Auf der Krebsstation verbringt er seine letzten Tage. Mit einem metastasierenden Melanom hat er keinerlei Chancen zu überleben. Ihm bleiben nur wenige Tage. Er weiß, was ihm bevorsteht.
Benjamin Marius Maier ist Student der Medizin. Auf jener Krebsstation macht er ein Praktikum und nebenbei arbeitet er in einem Tierversuchslabor. In Ambros erkennt er seine einstige Jugendliebe wieder. Der Alltag auf der Station vermischt sich fortan mit Erinnerungen an eine Zeit, die es nicht mehr gibt ...
"Bevor wir verschwinden" ist ein sehr leises Buch. Dafür voller Klarheit und in einer Sprache geschrieben, die jeder versteht. David Fuchs liebt es, sich direkt und ohne Umwege auszudrücken. Sein beruflicher Alltag als Mediziner fließt somit in einer Direktheit ein, die körperlich spürbar ist.
Der Autor verzichtet auf jede Form des großen Theaters. Götter in Weiß scheint es nicht zu geben. Sowieso ist die Besetzungsliste recht überschaubar. Einen Oberarzt gibt es, eine vorlaute Schwester und eine Handvoll Patienten, liebevoll gezeichnet. Beispielsweise den Herrn Otto, der nach Hause entlassen werden soll, aber nicht will. Oder die Frau Follert, die fast alle ihrer sechs Kinder nie hätte bekommen wollen, wenn damals die Abtreibung erlaubt gewesen wäre.
Tragik und unfreiwillige Komik weiß David Fuchs eindrucksvoll zu kombinieren. Ärgerlich, wenn der Zugriff auf Webseiten, welche den Ablauf einer Pleurapunktion schildern, durch den Pornofilter des Krankenhauses verhindert wird. Im Tierversuchslabor wird gerne Musik gehört. "Novocaine for the Soul" von den Eels beispielsweise. Das ist verboten, aber "den Schweinen macht es nichts aus".
Komisch außerdem, wenn eine Gehhilfe für Senioren ausgerechnet "Pantera" heißt. Handverlesene Musik gehört ebenfalls zum ständigen Begleiter. Das dritte Album der Smashing Pumpkins "Mellon Collie and the Infinite Sadness" wird wohl eher selten in der Literatur erwähnt. Ebenso die Alternative Rocker Bush oder Eels. Die Auswahl ist erlesen - so wie das ganze Buch eigentlich auch.
Tragisch, komisch und meist einfach nur alltäglich rinnen Realität und Erinnerungen unaufhaltsam dahin, behutsam beobachtet von David Fuchs. Eine Annäherung der beiden Hauptpersonen findet statt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Episoden sind es. Ein sensibles Kammerspiel. Angedeutet sei noch Ambros' "Projekt". "Dauernd verschwindet irgendwas oder irgendjemand." Ihm geht es darum, den Moment davor festzuhalten ...
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