Literatur

Benjamins Parasit

von Jeff Strand


280 Seiten
© 2009 byJeff Strand
© für die deutschsprachige Ausgabe by Voodoo Press
www.voodoo-press.com
ISBN 978-3-902802-18-7



Für Benjamin Wilson ist es erst die zweite Beerdigung in seinem Leben. Vor fünf Jahren starb sein Onkel Stewart und an seine Beerdigung kann er sich insofern gut erinnern, als sich Tante Penny, die Witwe des Verstorbenen, einen bösen verbalen Ausrutscher erlaubte. Dergleichen ist aber am heutigen Tag, der ein "neues Level der Beschissenheit" erreichen wird, nicht zu erwarten.

Brian Dexter, einer seiner Schüler an der Prill High, starb einen gewaltsamen Tod. Mit besonderen Leistungen konnte er nie glänzen, aber Benjamin schätzte ihn als Mensch. Auch hatte es stets den Anschein, dass Brian frei von jeder seelischen Belastung zu sein schien, was sich nun als Irrtum herausgestellt hat. Offenbar ohne ersichtlichen Anlass attackierte er seine Mutter mit einem Fleischerbeil, verletzte sie und nahm die Verfolgung der Flüchtenden auf, die sich bei Nachbarin Leslie in Sicherheit bringen wollte. Brian schien unbeeindruckt und brach durch ein Fenster in das Nachbarhaus ein, doch weit kam er nicht mehr. Das Beil fiel ihm aus der Hand, nachdem ihn ein Schuss aus der Schrotflinte von Leslies Mann John tödlich verletzte.

Die Bestattung gestaltet sich ebenso unwirklich wie unheimlich. Unwirklich insofern, als niemand genau weiß, wie man sich bei der Beerdigung eines Kindes verhalten soll, "das starb, während es versuchte, seine Mutter mit einem Küchenutensil niederzustrecken". Unheimlich deshalb, da Benjamin Wilson einige unangenehme Beobachtungen erwarten. Lieber würde er seine Zeit im Wartezimmer seines Zahnarztes, in Erwartung einer Wurzelbehandlung, verbringen, oder die "längste, grauenvollste, ganztägige Lehrerfortbildung durchstehen", als vor einem Sarg zu stehen, in welchem ein 15-jähriger Junge liegt. Schließlich schafft er das scheinbar Unmögliche und steht vor seinem ehemaligen Schüler. Während er noch über all die Dinge nachdenkt, die Brian nun zwangsweise niemals erleben wird, geschieht es: Brians Unterlippe scheint für einen kurzen Moment zu zucken!

Seine aufkommende Panik weiß Benjamin zunächst noch zu kontrollieren, zumal es sich ganz bestimmt um eine Sinnestäuschung gehandelt haben muss. Er beobachtet Brian intensiv, und Brian zeigt keinerlei weitere Bewegungen mehr, welche ja auch "durch die Gesetze der Natur strengstens verboten" sind. Leider kann er sich dennoch nicht beruhigen, da er plötzlich bemerkt, wie der Körper ausatmet! Doch auch dieses muss ein Irrtum sein. Schließlich war die Leiche obduziert worden. Zweifellos war Brian zu Lebzeiten ein Unruhestifter, "aber nicht so einer". Um alle Zweifel restlos zu beseitigen, beugt sich Benjamin dicht zu Brians Gesicht hinunter, sodass jeder der Anwesenden denken muss, er würde Abschied von ihm nehmen. In diesem Moment trifft ihn ein sanfter Hauch und Benjamin schreit laut auf! Noch ahnt er aber nicht, dass dies nur den Anfang des Grauens darstellt, welches ihn in den nächsten Tagen ereilen soll ...

Dies ist nun nicht nur mein erstes Buch von Voodoo Press, sondern mein erster Horror-Roman überhaupt. Zusammenfassend kann ich jedoch jetzt schon sagen, dass dies womöglich der Beginn einer langen Freundschaft sein könnte, was sowohl den Verlag als auch das Genre betrifft. Mein erster Eindruck war, mich in einem Szenario zu befinden, wie es ein Quentin Tarantino wohl nicht besser hätte in Szene setzen können. Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen, wobei man es erst einmal schaffen muss, die eher visuell angelegten Fähigkeiten eines Filmregisseurs in Worte umzusetzen und entsprechend aufzubereiten.

Dies ist Jeff Strand zweifellos gelungen, indem er beispielsweise einen abgründigen Humor einbaut, der schwärzer nicht sein kann. Hinzu kommt seine Fähigkeit, Dialoge der (gewollt) sinnfreien Art nicht nur mitunter recht bizarr zu gestalten, sondern regelrecht ins Absurde abdriften zu lassen. Es genügen schon wenige Dialogfetzen, um den leicht flippigen Lehrer Benjamin Wilson damit indirekt zu charakteriesieren, insbesondere wenn er Konversation mit seiner 16-jährigen Tochter Cindy zu pflegen versucht. Diese hält beispielsweise im Gegensatz zu Gleichaltrigen ihr Zimmer in bester Ordnung, weshalb sie ihr Vater als "gruseliges Mutantenkind" bezeichnet, wobei sie ihn aus ihrer Sicht längst als Freak abgestempelt hat.

Je niedriger der Autor den Intelligenzgrad der jeweiligen Haupt- und Nebendarsteller angelegt hat, desto haarsträubender gestaltet sich die grässliche Naivität der Dialoge, wobei der Lesespaß im Gegensatz dazu diametral ansteigt. Unermessliche Höhen darf er aber nicht erreichen, denn durch eine, nicht nur nach außen gerichtete, fotorealistisch formulierte Brutalität, die auf unsägliche Einzelheiten nicht gerne verzichtet, wird einem der "Spaß" immer wieder gründlich verdorben.

Fazit: Absonderliches Spiel der Gegensätze. Dringende Leseempfehlung für Schrägveranlagte und Menschen, die gerne trotzdem lachen. Vorab einen Arzt und den Apotheker des Vertrauens entsprechend zu befragen, kann aber sicher nichts schaden. Ich war Gott sei Dank schon vor der Lektüre des Romans in guten Händen, weshalb ich in der nächsten Therapiesitzung gleich von meinen aktuellen Magenproblemen berichten werde. Und wenn ich mich nicht irre, hat sich in der Blinddarmgegend gerade etwas bewegt. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das rasch aufklären lässt ...

 

Thomas Lawall - Januar 2013

 

 

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