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Bemühungspflicht
von Sandra Weihs
252 Seiten 1. Auflage 2025 © Frankfurter Verlagsanstalt GmbH www.fva.de
Wer in Österreich Sozialhilfeempfänger/in ist, unterliegt der sog. "Bemühungspflicht". Die Bedeutung bezieht sich auf das "Bemühen", alles zu tun was nötig ist, um sich wieder in einen Arbeitsprozess einzugliedern, sowie die Bereitstellung eigener Mittel wie Vermögen, Haus- oder Grundbesitz, welche vor Erhalt von Sozialleistungen, vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes, zumindest anteilig, herangezogen werden können.
Dies betrifft Manfred Gruber insofern hart, da er als Arbeitsunfähiger nun das Haus seiner verstorbenen Mutter, die er jahrelang in Vollzeit betreute, in Gefahr sieht. Ihm droht die "Grundbücherliche Sicherstellung des Grundstücks".
Eine amtliche Odyssee aus Auflagen und Formularen beginnt, und trotz Erfüllung derselben werden für ihn immer weitere Hürden aufgestellt, die es zu überwinden gilt.
Als wenn er durch den Selbstmord des Vaters, die Scheidung, Krankheit und das Scheitern seiner beruflichen Ziele nicht schon genug Unglück hat ertragen müssen.
Sandra Weihs erzählt seine Geschichte in einer besonderen Form, die dem Rezensenten bisher so noch nicht begegnet ist. Die "Du-Form" verspricht eine ungewohnte Nähe zur Hauptperson des Manfred Gruber, aber auch zu Nebenfiguren wie Mitarbeiter/innen des Sozialamtes, wobei hier die Handlung auch und besonders formal als Vermutung künftigen Tuns vorangetrieben wird.
"So kann es nicht weitergehen, wird sie sich ermahnen."
Eine weitere Besonderheit ist, neben der fast intimen Distanz zur Geschichte und deren Figuren, eine womöglich entstehende direkte Einbeziehung der Leser/innen, indem sie sich selbst als handelnde Person identifizieren können sowie direkt angesprochen fühlen.
"Du fühlst plötzlich Blicke auf dir ruhen, wie deiner auf der Verkäuferin geruht hat."
Die Autorin besitzt ein sehr feines Gespür (auch) für jene Vorgänge, die sich meist im Verborgenen abspielen, weil sie vielleicht niemand versteht oder in vielen Fällen von der Allgemeinheit gar nicht verstanden werden wollen.
Beispielsweise den paradoxen Unwillen, überhaupt eine Arbeit annehmen zu wollen. Dies kann in Wirklichkeit die Funktion eines Selbstschutzes erfüllen, denn jener "Unwillen" schützt hervorragend gegen die Frustration, die weitere Absagen potentieller Arbeitgeber auslösen würden.
So nebenbei beklagt sie mit klaren Worten die Lebensmittelqualität in den Supermärkten, die Situation von Rentnern, die sich keinen Urlaub mehr leisten können, das Gefühl von Sozialhilfeempfängern, der Gemeinschaft auf der Tasche zu liegen, oder das allgemeine Leistungsdenken, welches bereits Kinder mit dem "Leistungswettbewerb" bekannt macht.
Solange man funktioniert, ist alles bestens. Scheinbar jedenfalls. Aber wehe, man verlässt, aus welchen Gründen auch immer, die vorgegebene Spur. Was so oder anders passieren kann, ist in "Bemühungspflicht" nachzulesen.
Das geht nicht ohne generelle Systemkritik, die an grundlegenden Lebensmustern ordentlich rüttelt.
"... heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen, hackeln, hackeln, hackeln …"
Nicht dass Manfred Gruber ein besonders liebenswerter Zeitgenosse ist. Eher das Gegenteil ist der Fall. Dennoch berührt sein Schicksal nachhaltig, da die ihn treffenden Systemzwänge, die ebenfalls alles andere als liebenswert sind, aus der Bahn zu werfen drohen.
Mit feuriger und bestens informierter Feder erzählt Sandra Weihs vom Leben eines im Sozialsystem gescheiterten Menschen, der einfach Pech gehabt hat. Hierfür vereint sie Empathie, Wissen zur Sache und einer sehr unmittelbaren Sprache zu einem eindringlich erschütternden Porträt.
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