Auf dem Tretroller durch Deutschland
von Michael Wigge
256 Seiten © Piper Verlag GmbH, München 2013 www.malik.de ISBN 978-3-89029-441-4
Am Anfang war wie immer die Idee, nämlich in diesem Fall jene, eine Tour durch Deutschland zu unternehmen. An sich nichts Besonderes, doch einen Aufsitzrasenmäher als fahrbaren Untersatz für diese Tour zu wählen schon. Irgendwie würde man die dritte Herausforderung nach "Ohne Geld bis ans Ende der Welt" und "Wigges Tauschrausch" schon schaffen. Wer es ohne Geld bis in die Antarktis schafft oder sich von einem Apfel bis zu einem Haus in Hawaii hochzutauschen in der Lage ist, der sollte die inländische Rasenmähertour doch mit links bewältigen können.
Leider war der Herr Rische vom Sender Deutsche Welle Fernsehen Berlin anderer Meinung. Ein ähnliches Projekt sei bereits von einem anderen Sender ersonnen und es gäbe praktisch nur eine einzige Möglichkeit, eine wirkliche Alternative zu entwickeln. Ohne Motorkraft, also etwas "Authentisches mit echter Anstrengung". Wigge, eigentlich so ziemlich mit allen Wassern gewaschen, zeigte sich überrascht, dass es sich um "so einen Kinderroller" handeln soll. Schließlich willigte er ein, ebenso in die Auflage, es von Sylt bis zum südlichsten Punkt Deutschlands, dem Haldenwanger Eck auf 2000m, in 80 Tagen zu schaffen.
Derlei Unternehmungen müssen selbstverständlich am ersten April gestartet werden, was durchaus einige Probleme mit dem Wetter verspricht. Doch zunächst geht es am nördlichsten Punkt der Nordseeinsel Sylt los. Kollegin Mechthild, die mit einem Wohnmobil die Rückhut bildet, hat sogar ein zünftiges Startbanner gebastelt. "Zahlreiche" Fans sind anwesend, um den Start, der zweifellos in die Geschichte des Heimatlandes eingehen würde, nicht zu verpassen: Der Jogger und der ältere Herr mit Hund werden das Event ihr Leben lang nicht vergessen.
Der größte Teil des Buches beschäftigt sich erwartungsgemäß mit den verschiedenen Stationen der gar nicht mal so unanstrengenden Reise. Und genau hier versammeln sich auch die Nachteile eines solchen Unterfangens. Um in 80 Tagen die 2500 Kilometer zu schaffen, gilt es nicht nur sportliche Höchstleistungen zu erbringen, sondern dem unbändigen Verlangen nachzukommen, sich immer öfter im Wohnmobil auszuruhen, oder sich gar einmal eine Nacht im Heidelberger "Hip-Hotel" zu genehmigen.
Der Bedarf an Ruhephasen steigt in dem Maße, wie sich die Oberflächlichkeit der Berichterstattung gestaltet. Ob Michael Wigge nun das kleinste Dorf Deutschlands, den tiefsten Punkt, die älteste Eiche, den Mittelpunkt der Republik oder das kleinste Haus, den Bundesverband für Tretroller, die Ufo-Meldestelle in Mannheim oder den Stadtbeleuchtungsautomat in Dinkelsbühl besucht - alles kann nur kurz erwähnt und regelrecht abgehakt werden. Nicht selten wünscht man sich ausführlichere Orts- und Reisebeschreibungen, doch dafür bleibt wenig Raum.
Irgendwie hat heute keiner mehr Zeit, selbst wenn er mit einem Tretroller unterwegs ist! Rolf Rische spricht, im zitierten Telefongespräch am Anfang des Buches, von einem "total entschleunigten Reporter mit dem neuen Blick". Wohl wahr, aber dennoch gibt er die zeitliche Begrenzung vor und schon ist er wieder da, der Stress. Und immer wieder gibt es Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als so ein Wahnsinnsprojekt umzusetzen und immer wieder gibt es Leute, die, wie der Rezensent, ebenfalls nichts Besseres zu tun haben ...
... als so ein Büchlein mit großem Vergnügen zu lesen! Denn insgesamt besitzt "Auf dem Tretroller durch Deutschland" einen überdurchschnittlichen Unterhaltungswert. Immerhin bleibt etwas Rest-Zeit für philosophische Streiflichter in Richtung weltbewegender Sachthemen wie Haustierhaltung im Allgemeinen, Leidenschaft im Besonderen und Universum im Allumfassenden. Zudem mache ich mir so meine Gedanken, ob ich mir so einen verdammten Roller einmal anschauen sollte. Ganz unverbindlich, versteht sich ...
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