Literatur

Atheist
Gut Leben ohne Gott und Götter


von Eric Maisel


260 Seiten
© 2011 by Arun Verlag für die deutsche Ausgabe
www.arun-verlag.de
www.ericmaisel.com
ISBN 978-3-86663-061-1



Sinn und Moral sind eine untrennbare Einheit. Wie immer kommt es aber auf den jeweiligen Standpunkt des Betrachters an. "Die Argumente eines Gläubigen sind unwiderlegbar und idiotensicher, da er seine gewöhnliche Menschlichkeit verrät, indem er behauptet, seine Werte stammen von Göttern." Der praktizierende Atheist steht hier aber auf weiter Flur alleine da und erlaubt sich die Ungeheuerlichkeit, seine Wertvorstellungen aus sich selbst heraus zu schöpfen und zu komponieren.

Er führt keine vorgegebenen Parameter aus, sondern ist aktiver Moralphilosoph. Und in gewisser Weise ist er ein (sanfter) Held, denn es bläst ihm ein eiskalter Wind entgegen. Aus natürlichen Gründen entstanden, steht er seiner Natur, die weder Gnade, Mitgefühl oder Trauer empfindet, als "moralisches" Wesen gegenüber. Somit scheint es unmöglich zu sein, ethische Prizipien aus natürlichen Fakten abzuleiten. Als Freidenker muss er andererseits auf "handliche Prinzipien aus dem Regal" verzichten oder gar einer Bestrafung durch Götter trotzen und sich seine Ethik selbst erschaffen. Ethik wird also nicht verkündet, sondern praktiziert! Ein weiter Weg und man muss ihn ganz alleine gehen. "Das Universum schert sich nicht um Fairness; nichtsdestotrotz kann man sich dafür entscheiden, Fairness zu verteidigen."

Was mir an diesem Buch gefällt ist vielfältig. Bereits der "unverschämte" erste Satz trifft es auf den Punkt. Eric Maisel schreibt: "Es gibt keine Götter (einschließlich Gott)." Den geringsten Hauch einer Begründung lässt er gar nicht erst aufkommen. Aus seiner (und meiner) Sicht auch gar nicht notwendig, denn im Grunde gibt es zu diesem Thema auch gar nicht mehr zu sagen. Dennoch hat mich diese Art und Weise, ein Buch zu beginnen, amüsiert und überrascht zugleich. Zudem fasziniert mich die leichtfüßige Selbstverständlichkeit seiner Aussagen - auch im weiteren Verlauf, insbesondere wenn er feststellt, als wäre es das Natürlichste (was es im Grunde ja ist) auf dieser Welt: "Dies ist weder ein Anlass zu feiern noch etwas, das betrauert werden müsste. Aber es kann eine Erfahrung sein, die den Geist erweitert und verwandelt und dazu führt, alle Götter, Religionen und die Leidenschaft für das Übersinnliche abzuschütteln ..."!

Zudem gefällt es mir sehr, als Leser von "Atheist" persönlich angesprochen zu werden. Diese Form mag nicht jedem gefallen, wie in einem großen Verkaufsportal zu lesen ist, überwindet damit aber das übliche Manko von Fachbüchern: die Distanz zum Leser. Gar nichts auszusetzen habe ich auch an den zahlreichen Zitaten von Menschen, die ebenfalls den mitunter steinigen Weg des Atheismus betreten haben. Ein Befreiungsschlag dieser Größenordnung bringt nicht selten unerwartete Probleme mit sich, besonders wenn man in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist.

In diesen Zusammenhang passen auch die Zitate berühmterer Zweifler, und schnell gelangt man zur Erkenntnis, dass Atheismus ganz und gar keine Erfindung gelangweilter und religonsmüder Zeitgenossen ist. Schon vor 1000 Jahren schrieb der arabische Dichter und Schriftsteller Abu al-Ahmad (Abu'l-Ala-Al-Ma'arri) etwas spitzfindig "Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt: kluge ohne Religion und religiöse ohne Verstand". Noch einmal weit über 1000 Jahre zurück formulierten Epikur und Aristoteles ihre Ansichten über Religion, indem sie diese als "naiven Glauben an die Wirklichkeit von Wahnbildern" definierten bzw. erkannten, dass Menschen sich ihre Götter nach ihrem Ebenbild schaffen und nicht umgekehrt.

Mehr als nur konsequent erlebe ich nicht nur die ebenso selbstverständliche wie natürliche Ablehnung allem Göttlichem gegenüber, sondern die gleichzeitige Verneinung von Buddhismus, Taoismus und allen anderen "Flussreligionen", wie sie der Autor nennt, denn auch diese würden nur "unnötige Mauern zwischen dem Menschen und der Wirklichkeit errichten". In die gleiche Kiste wirft er die Beschäftigung mit allerlei Übersinnlichem wie z.B. Fernwahrnehmung, Zauberkunststückchen mit allerlei Besteck, Rückführungen und allen möglichen paranormalen Varianten. Das alles würde nur unnötige Zeit und Energie kosten. Schön, wie er auch die Faszination von "heiligen Plätzen" ablehnt. Je intensiver man sie als solche ansieht, "desto weniger real gestaltet man sein Leben".

Sein Hauptaugenmerk legt der Autor allerdings auf die allgemeine Sinnfrage und verwendet hierzu gleich mehrere Kapitel. Auch damit bin ich einverstanden, denn wer ins atheistische Loch gefallen ist und sich womöglich mit einem ganzen Güterzug aus schlechtem Gewissen durchs Leben quält, findet hier eine ganze Reihe praktischer Anleitungen und zuerst einmal die Gewisssheit, sich auf dem "richtigen" Weg zu befinden! Noch besser gefällt mir der Anspruch des Autors, auf allgemeingültige Regeln und Vorschriften vollständig zu verzichten.

Wir dürfen selbst entscheiden, denn der Wille ist ja bekanntlich frei! Ein paar Ideen, etwas Hilfe (zur Selbsthilfe) darf es dann aber schon sein. Nach der Lektüre dieses Buches würde ich sie als Flugstunden bezeichnen. Ziel ist der Alleinflug unter eigener Verantwortung. Und die eingeschlagene Flugbahn wird in jedem Fall absolut individuell sein. Mehr Sinn gibt es nicht und mehr Sinn braucht es auch gar nicht.

Ein Buch für alle, die sich ihres ganz persönlichen Platzes im Universum bewusst sind und sich ihr Leben und den dazugehörigen Weg selbst gestalten. Eine Riesenchance für alle (Selbst-)Zweifler und diejenigen, die an Gott, Kirche und anderen Zwängen leiden, verzweifeln und in Depressionen zu versinken drohen. Ein Buch für Aktive, die es aufgegeben haben, nach einem Sinn zu suchen. Für alle, die sich trauen, sich auch von der Last der unzähligen esoterischen Irrwege und Sackgassen zu befreien.

Der Kopf wird frei von allem religiös-irrationalem Blendwerk, ideologischem Balast und esoterischer Augenwischerei. Freies Denken ist angesagt. Und wenn es denn unbedingt einen Sinn geben muss, ist er schnell gefunden. Jeden Tag gibt es ihn und mehrfach noch dazu. Ob man nun einen Kuchen backt, Kinder erzieht, ein neues Auto entwickelt, Teilchen beschleunigt oder Socken repariert. Einen übergeordneten oder gar übernatürlichen Sinn gibt es nicht. Aber einen natürlichen. Er ist das Leben selbst.

 

Thomas Lawall - März 2012

 

 

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