Literatur

Am Tiefpunkt genial

von Karoline Cvancara


258 Seiten
© 2015 Verlag Wortreich
www.facebook.com/verlagwortreich
ISBN 978-3-903091-02-3



Paul hat das Gefühl, einige Wochen und Monate verschlafen zu haben. Er ist noch gar nicht richtig wach und versteht zunächst gar nicht, was denn eigentlich los ist. Zwei Jahre ist er jetzt mit seiner Freundin zusammen, und plötzlich soll es nicht mehr weitergehen. Stefanie packt ihre Sachen und will ausziehen. Sofort.

Großartige Erklärungen gibt es nicht. Stefanie lässt sich auf einen brauchbaren Dialog erst gar nicht ein. Immerhin teilt sie ihm mit, dass es ihr leid tut und sie ab sofort bei Markus wohnen würde. Es dauert nicht lange, bis sie fertig gepackt hat und sang- und klanglos verschwindet. Weniger klanglos ertönt das Auto ihres neuen Freundes bei der Abfahrt. Markus, Pauls guter Bekannter, holt sie mit seinem Ferrari ab.

Eine Szene wie aus einem kitschigen Frauenroman, will ich einmal unterstellen. Und wenn das stimmen sollte, weiß ich, warum ich diese bisher immer gemieden habe. Paul hat jetzt natürlich "entsetzliche Gefühle" und kann sich gar nicht an Zeiten erinnern, in welchen "er sich erbärmlicher gefühlt hatte". "Allein und vollkommen missverstanden, so fühlte ich mich jetzt" weiß er gähnenden Leserinnen und Lesern zu berichten.

Es konnte ja auch gar nicht gut gehen mit den beiden. Er, der ein ruhiges unspektakuläres Leben leben möchte, und sie, "intelligent, schön und stilsicher", die mit ihren gehobenen Ansprüchen so gar nicht zu ihm passte. Man hat sich halt arrangiert. Doch jetzt, allein gelassen, beginnen seine Gedanken "zu kreisen", wobei Paul sich ernsthaft überlegt, ob er jetzt nur "grübelt" oder ob das schon "philosophieren" ist.

Er steigert sich in naive Selbstzweifel, wird aber durch Arbeitskollegin Elisabeth und seine Ex-Freundin Klarissa seelisch und moralisch unterstützt. Diverse Hilfestellungen zieht er aber wiederum in Zweifel, verliert sich dabei aber in reichlich pubertär wirkende Jammertiraden. Ach hätte ich nur dieses oder jenes getan, will ich dieses oder jenes überhaupt oder zwingt mich dieses, jenes zu tun und/oder umgekehrt.

Es passiert nichts Aufregendes in dieser Geschichte - selbst die Sache mit den Sportwagen und ein entsprechender Diebstahl wirken unspektakulär heruntererzählt (es ist nämlich "kriminell, Autos zu stehlen"). Die Charaktere bleiben farblos - es entstehen keinerlei Bilder. Die Aktionen erzeugen keine Spannung. Man begrüßt sich, geht etwas essen, fährt in einem schnellen Auto mit, verabschiedet sich und geht wieder nach Hause ...

Einzige (schreibtechnische) Lichtblicke waren das Spiegelbild Pauls, sein "dem Verfall preisgegebenes Ebenbild" und eine Plauderei über "geeignete Kommunikationsvermeidungsstrategien beim Frisör". Fast lächerlich wird es dann wieder mit seiner Qualmerei und den paar Flaschen Wein. Ein richtiger "Absturz" wäre eine andere und wesentlich längere und intensivere Geschichte.

Der flache Erzählstil, der nur noch durch völlig belanglose Dialoge getoppt wird, passt allerdings sehr gut zur Person des Musikliebhabers Paul und ist deshalb auf gewisse Weise authentisch. Er mag Literatur und seine Musik (Die Autorin zitiert eine erlesene Auswahl!). Ihn interessiert das Hier und Jetzt - nicht die Zukunft. Große Entscheidungen treffen ist nicht sein Ding. Alles muss seinen geordneten Gang gehen. Er widerspricht sich ständig. Sucht nach Harmonie, braucht aber Tiefs. Er sehnt sich nach Nähe, doch zu nahe darf man ihm nicht kommen.

Deshalb taucht nach einer ernüchternden Lektüre immerhin eine Frage auf: Sind wir nicht alle ein bisschen Paul? Den Roman rettet das aber nicht.

 

Thomas Lawall - Mai 2016/März 2021

 

 

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