Literatur

Am Tag, bevor der Frühling kam

von Ella Cornelsen


224 Seiten
© 2024 Ella Cornelsen
© 2024 by Limes
www.limes-verlag.de
ISBN 978-3-8090-2773-7



Kaum war das Buch ausgepackt, schnappte sich des Rezensenten Frau, wie immer, die neu eingetroffene Lektüre und gab nach Studium des Klappentextes ihrer Verwunderung sofort Ausdruck. "Was ist denn los? Du, und ein Liebesroman?"

Eine Antwort fiel ihm nicht ein, vielleicht deshalb, weil für ihn die entsprechende Schublade, oder gar die der "Frauenliteratur", wie auch fast alle anderen Bezeichnungen für bestimmte Genres, nicht im Vordergrund stehen. Erste Zweifel waren dennoch gesät, was ihn aber keinesfalls daran hinderte, einfach mit dem Lesen zu beginnen.

Das Negative, zur Abwechslung, mal gleich vorneweg. Der Prolog klingt tatsächlich ein wenig emotional überdosiert. Eine Richtung, die zum baldigen Abbruch der Lektüre geführt hätte, wenn das in diesem Stil so weitergegangen wäre. Das war nicht der Fall.

Ein größeres Leider gibt es auch noch, denn der Klappentext verrät fast etwas zu viel. Mit etwas Phantasie ist das Ende der Geschichte leider vorhersehbar. Und so kommt es dann auch.

Was diesen Roman dennoch besonders auszeichnet, ist nicht das erwartete oder vermutete Ende, sondern der Weg dahin! Und dieser ist lesenswert spannend. Ella Cornelsen geht weit in den zwischenmenschlichen Bereich, ohne dabei in einen kitschig-schwülstigen Morast von Allgemeinplätzen zu versinken. Sie bleibt eher schnörkellos auf dem Boden der Tatsachen, die sich immer mehr entfalten, bis sich Liebe, Leben und das Gegenteil die Klinke in die Hand geben.

Der Klappentext braucht, auch in Auszügen, keinerlei wiederholende Erwähnung. Eine solche verdienen eher die vielen großen Momente, die sich in dieser Geschichte neben dem roten Faden fast verstecken, und die es zu entdecken gilt. Dazu gehört beispielsweise jene beiläufige Beobachtung, die in einer Straßenbahn eine Frau mit Zöpfen entdeckt. "Mit einem verlorenen Blick, als wäre sie vergessen worden..."

In Rückblenden lernen wir die junge Ellinor, die künftige Pastorin, kennen, als sie mit Zweifeln beladen, eine Vikariatsstelle antritt. Ihr erstes Beerdigungsgespräch konnte schlimmer nicht sein, und das in mehrfacher Hinsicht. Zudem hadert sie zunächst noch mit ihrem Beruf, jenem Zug, in welchen sie zugestiegen ist, "in dem der Tod als blinder Passagier mitfährt".

Auch später, nach vielen Beerdigungen, ändert sich wenig, wenn sie sich bei solchen "wie bei einer Feuerwehrübung" vorkommt, die ihr selbst "im Brandfall" kaum helfen würde.

Worte wie Schicksal oder Zufall kann sie nicht leiden. Sie kämen daher wie "Götter, die Launen haben … und sind doch nur Joker für etwas, was man nicht erklären kann. Wortgemachter Bluff".
 
Der Personenkreis ist überschaubar, wobei die Nachbarin "Els" und deren Sohn Dean im Leben der Pastorin eine tragende Rolle spielen. Es entwickelte sich über die Jahre eine enge, fast familiäre Vertrautheit, auch wenn sie ihre eigenen Lebenserfahrungen unter Verschluss hält. 

So ähnlich und ganz anders ist es im ganzen Roman. Viel wird gesagt und noch viel mehr wird nicht gesagt! Und das geht so lange, bis das passiert, was man "die Umstände" nennt, oder den Beginn einer Lebenslüge.

Nachdenklich kommt "Am Tag, bevor der Frühling kam" daher, und somit hält der Titel, was er verspricht. Einige faustdicke Überraschungen und Wendungen gibt es obendrein.

Ein Beziehungsdrama, das man zum weiteren Verständnis so nicht erlebt haben muss. Jene aber, die im Leben vor weitreichenden Entscheidungen gestanden haben oder stehen, ohne die Folgen auch nur zu erahnen, werden dieses Buch vielleicht besonders gut verstehen.

 

Thomas Lawall - September 2024

 

 

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