Literatur

Am Grund des Himmels

von Mariette Navarro


156 Seiten
© 2025 der deutschen Originalausgabe:
Verlag Antje Kunstmann GmbH
www.kunstmann.de
ISBN 978-3-95614-649-7



Was passiert eigentlich nach dem Ausstieg? Wie kommt man wieder auf die Beine? Wie findet man wieder einen Weg, und vielleicht sogar den richtigen?

"Alles bleibt in der Schwebe und deutet ein strahlendes 'Danach' an, in dem nichts unmöglich scheint."

Claire hat es geschafft. Jedenfalls so, wie es im Allgemeinen definiert wird. Eine gewisse Position in einem gewissen Konzern zu erreichen, obwohl sie aus sog. einfachen Verhältnissen stammt, ist schon eine besondere Leistung. Oder etwa nicht?

Claire sieht es anders und ist es leid,

"...endlos ein Karussell mit Geld und Worten anzutreiben..."

Ihre Flucht aus den vorgegebenen Lebens- und Verhaltensmustern kündigt sich langsam aber beharrlich an. Hier und anderswo, und eigentlich überall, findet Mariette Navarro gewaltige Sprachbilder, die das alsbaldige Ungemach unwiderruflich ankündigen.

Immer öfter stellen sich ihrer Hauptdarstellerin ebenso merkwürdige wie unsichtbare Hindernisse in den Weg. Das können Stolperfallen wie vermeintliche Bodenerhebungen oder unsichtbare Barrieren sein. Sind es Hindernisse, die sich nur gegen sie richten?

"Vielleicht waren die Mauern immer schon dagewesen, vielleicht bin ich sogar mit ihnen auf die Welt gekommen."

Schließlich eskaliert die Situation und sie flieht aus einem Meeting durch eine Luke auf das Dach ihres Bürokomplexes. Hier bekommt sie es mit den Folgen ihrer Verweigerung, sich in vorgegebenen Bahnen zu bewegen und Richtlinien und Werten nicht mehr Folge zu leisten, zu tun.

Ein "Sturm" bricht los und nach jener stürmischen Nacht lässt sich die Luke nicht mehr öffnen. Ein Rückweg scheint nicht mehr möglich zu sein. Claire sucht nach Erklärungen und es entwickeln sich erste Zweifel.

"War diese angelehnte Luke also doch ein Fehler im System und nichts, was sich mir wirklich öffnete?

Mariette Navarro entwirft Gebirge aus Metaphern, die in der Summe vielleicht nichts anderes sind als eine Art Wegbeschreibung, die aus den Zwängen einer modernen Arbeitswelt und einer sinnlosen Lebensrealität hinausführt.

Die toten Glaspaläste verlieren endgültig an Bedeutung, wenn man deren Sinn in Frage stellt. Claire weiß nicht mehr,

"für welchen Glauben man diese Imitationen von Kathedralen erbaut."

Die poetische Wucht ihrer Sprache vermag Leserinnen und Leser zunächst verunsichern und mitunter sogar verstören, sollte man sich in gewissen Formulierungen seiner eigenen Einbahnstraßen bewusst werden. Das kann die Stimmung ganz erheblich drücken.

Jene nervöse Unbehaglichkeit verunsichert zutiefst, auch wenn man sie womöglich schon länger kennt. Jene Aufbruchstimmung, die etwas ankündigt, was sich nicht mehr aufhalten lässt. Die Angst, den Boden unter den Füssen und jede Kontrolle zu verlieren, aber dennoch Kräfte zu sammeln und zu bündeln versuchen, um den Weg ins Ungewisse zu wagen.

Claires Monolog wird immer wieder durch einen Wechsel der Erzählperspektive unterbrochen. Hier schildern ihre Kolleginnen und Kollegen die Dinge aus ihrer Sicht und verlieren sich hierbei in einem Dschungel aus diffusen Vermutungen und wilden Interpretationsorgien.

"Es fällt uns schwer, die Szenarios zu glauben, die wir uns da ausdenken."

Was Mariette Navarro mit ihrer Hauptfigur vorhat und bezweckt, scheint von Anfang an zu erkennen sein, und wäre im Prinzip in wenigen Zeilen plausibel erzählt. Das würde der Thematik aber nicht gerecht werden, denn in "Am Grund des Himmels" ist eindeutig der Weg das Ziel!

 

Thomas Lawall - Oktober 2025

 

 

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